Von Paul Winterer und Susanne Kupke
Das Klischee vom wodkatrinkenden und mit Gläsern hinter sich werfenden Raubein bedienen sie schon lange nicht mehr. Stattdessen sind sie gediegene Gäste in Feinschmeckerrestaurants und logieren bevorzugt in Luxushotels. Ein abendlicher Besuch in der Spielbank gehört ebenso zum Programm, tagsüber tummeln sie sich unter Anleitung heimatsprachlicher Skilehrer auf den Pisten. Ihre Kinder schicken sie derweilen in den Nachwuchskurs. Urlauber aus Russland sind in den bayerischen Skigebieten seit Jahren eine feste Größe.
Doch seit dem Ukrainekonflikt und den damit verbundenen Sanktionen der EU bleiben viele Russen weg. Der Rubel rollt nicht mehr - gegenüber dem Euro befindet er sich im freien Fall. Selbst für wohlhabendere Russen ist ein Familienurlaub in den bayerischen Alpen ein teurer Spaß geworden. Entsprechend sind die Zahlen russischer Gäste zurückgegangen.
Von Januar bis September sank die Zahl russischer Urlauber in Oberbayern um 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, bei den Übernachtungen beläuft sich das Minus sogar auf 5,8 Prozent. Knapp 500 000 Übernachtungen waren es immerhin noch und nur deshalb so viele, weil zu Jahresbeginn der Ukrainekonflikt noch kein Thema war. Drastisch fällt der Rückgang im September aus, wie das Statistische Landesamt errechnet hat: minus 20 Prozent bei den Ankünften und minus 21 Prozent bei den Übernachtungen, jeweils gegenüber September 2013.
Einer der beliebtesten Urlaubsorte zahlungskräftiger Russen ist Garmisch-Partenkirchen. Die Skipisten und das staatliche Casino lockten lange Zeit Gäste etwa aus Moskau oder St. Petersburg an. Russische Millionäre kauften oder bauten sich sogar Zweitwohnsitze zu Füßen der Zugspitze. Doch nun verzeichnet auch Tourismusdirektor Peter Ries einen deutlichen Rückgang von Urlaubern aus Russland. 5,1 Prozent beträgt er seit Jahresbeginn bei der Gästezahl, 8,4 Prozent bei den Übernachtungen, jeweils verglichen mit dem Vorjahreszeitraum.
Ries hat eine Reihe von Hotels abgefragt und überall die Antwort bekommen, dass für den bevorstehenden Winter weniger Buchungen russischer Gäste vorliegen. «Wir versuchen zielgenau auf dem russischen Markt weiterhin tätig zu sein und den potenziellen Gästen zu vermitteln, dass sie bei uns willkommen sind», sagt Ries.
Für das Geschäft zur Jahreswende ist dies freilich zu spät. «Wir haben schon noch Anfragen aus Russland», sagt Andreas Griess vom Hotel Rheinischer Hof in Garmisch-Partenkirchen, «aber deutlich weniger.» Wenn die Buchungen im Dezember nicht spürbar anziehen, rechnet der Inhaber des familiengeführten 75-Betten-Hotels mit einem Rückgang von 40 Prozent bei den russischen Winter-Urlaubern.
Die Skischulen leiden ebenfalls unter dem Rückgang. Thomas Sprenzel, dem in Garmisch-Partenkirchen eine Ski- und Snowboardschule gehört, berichtet, dass in Moskau einige auf Deutschland-Urlaub spezialisierte Reisebüros pleitegegangen seien. Er rechnet zwar damit, dass auch im kommenden Winter, vor allem in der ersten Januarhälfte, wieder russische Kursteilnehmer kommen werden, «aber deutlich weniger». Sprenzel beschäftigt extra Skilehrer aus Russland.
Sorge auch in Baden-Baden: Schon seit der Zarenzeit ist der Kurort ein beliebtes Reiseziel für Russen. Nun er spürt die Trendwende empfindlich. Zwar hat es im Laufe der Jahrzehnte auch bei anderen ausländischen Gästen immer wieder mal größere Schwankungen gegeben. «Bei den russischen Gästen ist es aber das erste Minus seit 20 Jahren», sagt Tourismus-Chefin Brigitte Goertz-Meissner. Von Januar bis September wurden bei Russen - dazu zählt die kommunale Statistik auch Ukrainer - 10 000 Übernachtungen weniger verzeichnet. Das sind 16,2 Prozent Rückgang zum Vorjahr. Gewöhnlich hat die «russischte Stadt» Deutschlands um die 80 000 Übernachtungen dieser Gruppe.
Von Dichtern wie Fjodor Dostojewski oder Iwan Turgenjew bis hin zu vielen Adeligen - Baden-Baden und Russland verbindet seit dem 19. Jahrhundert eine lange Geschichte. In jüngster Zeit freut sich der Kurort über eine wachsende Zahl an Gästen, die zu medizinischen Behandlungen, Kuren und Erholung kommen. «Für Baden-Baden ist es schade, wenn die Gäste von dort nicht mehr kommen», bedauert Goertz-Meissner. «Es sind Stammgäste in der Stadt.» Mit Reiseveranstaltern von dort arbeite man aber «ganz normal» weiter. Immerhin ein Lichtblick: Der Rückgang der liebgewonnenen Russen wurde über einen Zuwachs an Gästen aus anderen Nationen aufgefangen.
Manch andere Städte wie das sächsische Dresden haben sogar recht stabile Besucherzahlen aus der Russischen Föderation, merken aber, dass die Russen weniger Geld haben. «Russische Touristen geben 30 Prozent weniger in Dresden aus als im Vorjahr», sagt Michael Mauerhoff vom Finanzdienstleister Global Blue Deutschland GmbH. Er muss es wissen: Bei dem Unternehmen können sich Nicht-EU-Bürger die Mehrwertsteuer für ihre Einkäufe in Deutschland zurückholen. dpa
Weniger russische Gäste auch in der Schweiz und in Österreich
Wegen der Auswirkungen der Ukraine-Krise sind in diesem Jahr deutlich weniger russische Touristen in die Alpen gereist als sonst. In der Schweiz sank die Zahl der russischen Gäste zwischen Januar und September im Vergleich zum Vorjahreszentrum um gut sieben Prozent, teilt Schweiz Tourismus mit. Die Zahl der Übernachtungen insgesamt blieb dagegen stabil. Ähnlich in Österreich: Dorthin kamen zwischen Januar und Oktober rund 403 000 Russen - ein Minus von sechs Prozent.
«Die Entwicklung ist in diesem Jahr äußerst stark von den widrigen wirtschaftlichen Bedingungen und dem Kursverfall des russischen Rubels im Vergleich zum Euro geprägt», erklärt Markus Aspetzberger von Österreich Werbung. «Diese Faktoren erklären auch die Rückgänge bei Ankünften und Nächtigungen in der Sommersaison.»