Von Can Merey
Die langen Touristen-Schlangen vor der Hagia Sophia sind verschwunden, der Istanbuler Kreuzfahrthafen ist weitgehend verwaist, Hotels klagen trotz hoher Rabatte über miserable Auslastung. Noch im vergangenen Jahr sagte die Kreditkartenfirma Mastercard voraus, bei gleichbleibendem Wachstum werde die türkische Millionenmetropole vor Ende des Jahrzehnts mehr ausländische Besucher anziehen als Paris. Vor allem die Anschläge auf Touristen in Istanbul sorgen nun aber dafür, dass westliche Urlauber der Stadt fernbleiben.
Dabei hatte die Metropole am Bosporus spätestens mit der Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas 2010 einen Boom verzeichnet. Jährliche Zuwächse von mehr als elf Prozent katapultierten Istanbul laut Mastercard auf Platz drei der meistbesuchten Städte Europas. Für 2015 prognostizierte die Kreditkartenfirma 12,56 Millionen ausländische Besucher - mehr als drei Mal so viele wie München, die beliebteste deutsche Stadt kommt im europäischen Ranking nur auf Platz 10.
Kadir Akkus hat lange von diesem Boom profitiert. Vor gut sechs Jahren zog der in Deutschland aufgewachsene Bauingenieur von Köln nach Istanbul. Zusammen mit einem Freund gründete der 38-jährige Türke eine Firma, die Ferienwohnungen an Touristen vermietet. «Die ersten Jahre waren super», sagt Akkus. Aus sechs Wohnungen wurden 15, das Geschäft brummte. Die Gezi-Proteste im Sommer 2013 sorgten zwar für Absagen, der Markt erholte sich damals aber schnell.
Doch seit vergangenem Sommer eskaliert die Gewalt in der Türkei. Für das Istanbuler Tourismusgeschäft verheerend waren Selbstmordanschläge im Januar und März, bei denen zwölf Deutsche, drei Israelis und ein Iraner in der Stadt getötet wurden. Für die Anschläge macht die Regierung die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich. Auch die kurdische Terrorgruppe TAK - die im Februar und März schwere Anschläge in Ankara verübte - hat gedroht, Touristen anzugreifen.
Nicht alle Urlauber lassen sich davon abschrecken. «Wir haben keine Angst», sagt eine Amerikanerin, die eine Rundreise durch die Türkei nach Istanbul geführt hat. Niemand aus ihrer Reisegruppe habe abgesagt. Die Ereignisse der vergangenen Monate hätten zudem gezeigt, dass auch westliche Städte wie Brüssel nicht unbedingt sicher seien. Viele andere westliche Urlauber sind allerdings zutiefst verunsichert - wozu auch alarmierende Meldungen aus der Türkei beitragen.
Wegen Terrorhinweisen wurden im März das deutsche Generalkonsulat und die deutsche Schule in Istanbul vorübergehend geschlossen. Erst vor wenigen Tagen warnte die US-Botschaft vor «glaubhaften Bedrohungen» auch in Istanbul. Israel rief Türkei-Urlauber sogar zur «frühest möglichen» Ausreise aus dem Land auf. Bereits nach dem Anschlag in Istanbul im Januar hatte der weltgrößte Reisekonzern Tui einen Buchungsrückgang für die Türkei insgesamt um 40 Prozent gemeldet.
«Jetzt ist der Markt total eingebrochen», sagt Akkus zum Geschäft mit den Ferienwohnungen. «Letztes Jahr um diese Zeit hatten wir 30 bis 40 Anfragen am Tag, was für ein kleines Geschäft wie unseres eine große Nummer ist. Wir waren drei Monate im Voraus ausgebucht. Jetzt bekommen wir zwei bis drei Anfragen pro Woche, also eigentlich gar nichts mehr, obwohl wir die Preise halbiert haben.»
Auf dem Istanbuler Gewürzbasar übt sich ein Verkäufer in Galgenhumor. «Wir haben alles außer Kunden», ruft er. Sein Chef sagt, seine Umsätze seien um mehr als ein Drittel eingebrochen - obwohl er viele arabische Kunden habe, die die Gewalt bislang kaum abschreckt. Ein anderer Ladenbesitzer sagt, er betreibe sein Geschäft seit mehr als zwei Jahrzehnten. «Noch nie lief es so schlecht wie jetzt.»
Ein 20-Jähriger, der wie viele andere Gesprächspartner seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, versucht vor der Blauen Moschee, Touristen in einen Teppichladen zu lotsen. Wenige Meter entfernt hat der Attentäter vom Januar die deutschen Urlauber getötet. «Natürlich habe ich auch Angst», sagt der junge Mann. «Dieses Jahr ist furchtbar.» Vor einem Jahr hätten täglich 15 bis 20 Kunden seinen nahe gelegenen Laden besucht. «Heute ist noch keiner da gewesen.»
Akkus macht mehrere Faktoren verantwortlich dafür, warum die Besucher aus dem Westen aus- und seine Wohnungen leer bleiben. «Das schlechte Image von (Präsident Recep Tayyip) Erdogan ist sicherlich mit ein Punkt», sagt Akkus. Auch die extrem negative Berichterstattung über die Türkei trage aber dazu bei. «Die Regierung wird angegriffen. Aber die Menschen leiden, auch wenn sie gegen die Regierung sind. Ich kann verstehen, dass berichtet wird. Aber verglichen mit Brüssel oder Paris fehlt mir ein bisschen die Solidarität der Menschen im Westen.»
Akkus überlegt nun, seine Firma zu schließen. Für fünf Angestellte würde das die Kündigung bedeuten. «Ich bin mir zwar sicher, dass die Lage in Istanbul irgendwann besser wird», sagt der Unternehmer. «Aber selbst wenn es zwei Jahre ruhig bleiben sollte: Wenn dann wieder etwas passiert, fallen wir in dasselbe Loch zurück. Das Fundament ist zu bröckelig, als dass ich meine Existenz darauf gründen kann.» dpa