Von Ingo Senft-Werner
Treppen, immer wieder Treppen. Der Weg hinauf zum Fachwerk-Schloss ist alles andere als knieschonend. Aber die Anstrengung lohnt sich. Die Altstadt von Altensteig im Schwarzwald gehört zu den wenigen erhaltenen Rokoko-Ensembles in Deutschland. Die etwa 30 Fachwerkhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die sich unterhalb der Kirche an den Hang schmiegen, sind wie geschaffen für ein Postkartenmotiv. «Sogar die Lufthansa hat schon im Ausland mit einem Foto von uns geworben», erzählt Bürgermeister Gerhard Feeß.
Doch das Schmuckstück zeigt Risse. Die Fenster der längst verlassenen Alten Apotheke starren vor Dreck, eine Scheibe ist eingeworfen. Wenige Häuser weiter hängt ein Verkaufsschild im Fenster. Eine frische rote Nelke soll das Angebot beleben. Doch die Aussicht, dass sich ein Interessent findet, ist trüb. Es sei denn, das Unglaubliche wird wahr, und der Touristikkonzern Tui verwandelt die Altstadt in ein Dorfhotel.
«Das wäre wie ein Sechser im Lotto», sagt Feeß angesichts von erwarteten 60 000 bis 90 000 Übernachtungen pro Jahr. Vor allem junge Familien sollen die Altstadt bevölkern und die Natur der Umgebung genießen. Feeß hat kurz nachdem die Idee Gestalt annahm, eine Bürgerversammlung einberufen. «Es gab nicht einen, der sich dagegen ausgesprochen hat.» Ein Investor steht bereit, etwa 15 Häuser entsprechend umzubauen und dann der Tui zu vermieten: 100 Appartements für zwei bis fünf Personen im Vier-Sterne-Standard.
Doch vor wenigen Wochen hat der Vorstand bei der Tui gewechselt. Die Altensteig-Pläne liegen damit erstmal auf Eis. Aber das Projekt sei noch immer interessant, sagt Tui-Sprecher Robin Zimmermann. Bislang hat Tui seine Dorfhotels auf die grüne Wiese gesetzt. Altensteig, das in seinem Kernbereich etwa 5500 Einwohner zählt, wäre sozusagen «das erste Dorfhotel am lebenden Objekt». Eine Entscheidung wird es frühestens im Juni geben.
«Wir haben die Altstadt nicht in dem Maß vermarktet, wie wir es hätten tun können und müssen», sagt Feeß. Eigentlich sollten hier wie in vergleichbaren italienischen Städtchen Touristenströme an Galerien, Souvenirläden und Kneipen vorbeiflanieren. Solche Zeiten hat die Altstadt wohl auch erlebt. «Ehemaliges Gasthaus Ochsen. Eines von zehn Wirtshäusern der Altstadt» verkündet eine Inschrift. Heute sind noch zwei Gasthäuser übrig. Die historische Klause «Bäck Schwarz» sitzt im ältesten Bürgerhaus aus dem Jahr 1459 und wirbt mit «Alemannischem Fachwerk mit Bohlenständerwänden» - geöffnet ab 17.00 Uhr. Der «Engel» bietet italienische Küche zwei Stunden am Mittag und vier am Abend.
Beim «Rössle» lockt noch das vergoldete Tieremblem. Aber der Wirt hat aus Altersgründen aufgegeben. Das normale Schicksal. «Da vorne am Eck war mal eine Metzgerei», erzählt Frank Schiler, der vor 40 Jahren als Jugendlicher in die Altstadt gezogen ist. Mit dem Finger zeigt er die schmale Straße hinunter: «Und ein paar Häuser weiter war ein Friseur und auch eine Bäckerei.»
Der Exodus hat vor Jahrzehnten schleichend begonnen. Erst sind die Familien weggezogen. «Ein Garten oder zumindest ein Balkon gehören heute zum Standard. Und natürlich ein Parkplatz vor der Tür», nennt Kulturamtsleiter Christoph Oldenkotte die Hauptgründe.
Oldenkotte weiß, wovon er spricht, hat er sich doch vor wenigen Wochen selbst in der Altstadt eingemietet. «Das Fachwerk-Ambiente muss man mögen», erzählt er. Heizung, Wärmedämmung und all der moderne Komfort ist in vielen der Häuser noch nicht eingezogen. Allerdings haben die Stadtwerke eine Nahwärmeleitung am Hang verlegt. «Das macht die Sache auch für die Tui interessant, die bei ihren Hotels auf regenerative Energieversorgung Wert legt.»
Als die Familien weg waren, haben die Geschäfte dicht gemacht. Und zum guten Schluss ist 2006 die Verwaltung vom Hang ins Tal gezogen. Das neue Gebäude hat jede Menge Parkplätze und ist für die Bürger gut zu erreichen. Doch seitdem steht das historische Rathaus leer. Im Plan für das Dorfhotel sollen hier die Rezeption und die Gemeinschaftsräume unterkommen.
Das Stadtmuseum im Alten Schloss ist einer der wenigen Anlaufpunkte für Touristen. Das Gebäude, eine merkwürdige Mischung aus mittelalterlicher Mauer mit Fachwerkaufsatz, ist es nur zwei Stunden am Mittwoch und drei am Sonntag geöffnet. Das angebaute neue Schloss präsentiert sich frisch renoviert, aber auch hier ist vor kurzem der Mieter ausgezogen.
Viele Dörfer in der Toskana haben die Entwicklung von Altensteig bereits hinter sich. Ganze Landstriche sind weitgehend entvölkert. Auch hier ruht die Hoffnung auf dem Tourismus. Die Tui hat 2007 ein riesiges Gelände rund um das Dorf Castelfalfi zwischen Siena, Florenz und Pisa aufgekauft. «Dort lebten zuletzt noch fünf Einheimische, erzählt Tui-Sprecher Zimmermann.
Einige Bauernhöfe wurden bereits restauriert und zum Teil als Ferienwohnungen verkauft, neue Hotels sollen entstehen. Aber das Projekt kommt wegen Genehmigungsproblemen in Italien und der angespannten finanziellen Lage bei der Tui langsamer voran als geplant.
Dennoch: Der Tourismus bleibt wohl der einzige rettende Strohhalm für solche Regionen mit schwer zu erhaltender Bausubstanz. «Aber deshalb können wir nicht sagen, wir lassen es einfach», erklärt Feeß und seine Stimme hebt sich. «Das ist unser historisches Erbe, das können wir nicht verkommen lassen.» dpa
altensteig.de