Von Christoph Sator
Die T-Shirts sind schon alle weg. Bis vor einer Weile konnte man sich an Australiens bekanntestem Felsblock, mitten in der roten Wüste gelegen, noch Souvenirs kaufen mit dem Aufdruck: «I climbed the Uluru» («Ich bin den Uluru hochgeklettert»). Vor ein paar Jahren hieß es sogar noch: «I climbed the Ayers Rock» - die bis dahin übliche englische Bezeichnung. Das war die Zeit, als die Leute auf so etwas noch stolz sein durften. Gar nicht so lange her.
Irgendwann Anfang der Nuller-Jahre bürgerte es sich ein, den «Heiligen Berg» von Australiens Ureinwohnern nur noch so zu nennen wie die Aborigines selbst: Uluru. Dann wurde es verpönt, den 348 Meter hohen Brocken zu besteigen. In ein paar Tagen wird die übrigens ziemlich anstrengende Tour verboten sein. Strafe: 630 australische Dollar (knapp 390 Euro). Es kann noch teurer werden, bis hin zu einer Gefängnisstrafe.
Dass das Verbot kommt, steht seit Herbst 2017 fest. Es wurde von der Verwaltung des Nationalparks beschlossen, in dem der Berg liegt. Seither laufen die Vorbereitungen. Die letzten Jahre baten die Anangu, die hier schon seit Ewigkeiten zuhause sind, alle Besucher darum, freiwillig unten zu bleiben. Viele hielten sich daran. Zehntausende machten sich trotzdem in praller Sonne auf den anderthalb Kilometer langen Weg nach oben, wenn auch oft mit etwas schlechtem Gewissen. Der 360-Grad-Rundumblick ins Outback war dann aber grandios.
Parkchef Sammy Wilson, selbst ein Anangu, begründet das Verbot so: «Der Uluru ist für uns ein extrem wichtiger Ort. Kein Spielplatz und auch kein Freizeitpark wie Disneyland.» Wenn es das nur wäre: Trotz aller Schilder und Broschüren lassen Touristen, wie auf anderen Bergen, haufenweise ihren Abfall liegen. Mangels Toiletten verrichten manche auf dem Unesco-Weltkulturerbe auch ihre Notdurft. Solche Zustände gehören nun bald der Vergangenheit an.
Noch allerdings darf man hinauf. Es ist, wenn es dauerhaft bei dem Verbot bleiben sollte, die letzte Chance. So ist am Uluru in diesen Tagen so viel los wie wahrscheinlich nie zuvor in seiner Existenz. In der Touristensiedlung Yulara - der einzigen halbwegs in der Nähe gelegenen - sind die Hotels trotz horrender Preise seit Wochen ausgebucht. Auch der Campingplatz ist voll bis auf den letzten Platz.
An manchen Tagen sieht es am Aufstieg zum Uluru nun so aus wie auf dem Foto vom Mount Everest, das im Frühjahr um die Welt ging: eine lange Schlange von Menschen, dicht an dicht. Wie eine riesige Ameisenstraße. Alles in allem werden dieses Jahr mehr als 400 000 Besucher erwartet. (Zum Vergleich: In der Anfangszeit des Uluru-Tourismus, in den 1950ern, waren es nur ein paar Hundert.) Für einen Ort mitten in der Wildnis ist die Zahl enorm. Nach Alice Springs, in die nächste richtige Stadt, sind es 470 Kilometer.
Familie Spencer aus Sydney - die Eltern Steve und Janine, drei Kinder zwischen fünf und elf - hat die Strapazen trotzdem auf sich genommen. «Das ist ein Stück Australien, das allen gehört», sagt der Vater nach vollbrachter Tat. «Deshalb wollten wir ein letztes Mal alle zusammen da oben stehen.» Die Kinder keuchen zwar, sehen aber glücklich aus. Das sind Sätze, die man häufiger hört.
Das Verbot ist umstritten. Viele finden es richtig, endlich den Bitten der Aborigines zu entsprechen. 700 000 Ureinwohner gibt es heute noch, die im Vergleich zu den restlichen 24 Millionen Australiern immer noch vielfach benachteiligt werden. Andere halten die Klettertour auf den Ayers Rock - wie sie dann erst recht sagen - für so etwas wie ein Grundrecht für alle Bewohner des fünften Kontinents.
Auch unter den Aborigines sind nicht alle einer Meinung. Wenn man mit Jüngeren spricht, lautet die Antwort häufig: «Ist mir egal.» Der Aborigine-Künstler Billy Cooley, Jahrgang 1952, sagt: «Ich hätte kein Problem damit, wenn der Berg offen bleibt. Die Leute kommen dazu aus aller Welt. Wenn sie heimlich klettern, dann gibt es noch mehr Unfälle.»
Tatsächlich ist der Uluru trotz seiner bescheidenen Höhe gefährlich. Der Fels ist nicht nur steil, sondern auch extrem glatt. Mindestens 37 Menschen kamen schon ums Leben. Seit man sich an einer 300 Meter langen Kette nach oben hangeln kann und dadurch auch Halt beim Abstieg hat, sind es weniger geworden. Zuletzt starb im Juli vergangenen Jahres ein 73 Jahre alter Japaner. Er erlitt einen Herzinfarkt.
Auch von deutschen Besuchern gibt es unterschiedliche Töne. «Es ist respektlos, hier herzukommen, auf dem Uluru herumzutrampeln und ein Instagram-Foto zu machen», sagt Sabrina Reisinger (25) aus der Nähe von Passau. «Das gehört sich nicht.» Thomas Witt (57) meint: «Wenn da 500 Leute hochgehen, macht es auch nichts aus, wenn 501 Leute hochgehen.» Andererseits: «Bei uns kann man auch nicht einfach den Kölner Dom hochklettern.» Auch er bleibt letztlich unten.
Aber die Sache ist ja auch schon entschieden. Der letzte Tag, an dem man klettern darf, ist der 25. Oktober, bis 16.00 Uhr. Außer, es wird Regen erwartet, viel Wind oder mehr als 35 Grad Hitze. Dann wird der Berg heute schon gesperrt. Damit enden dann fast anderthalb Jahrhunderte Geschichte: Der erste Weiße dort oben war wahrscheinlich 1873 der englische Entdecker William Goose. Er benannte ihn nach Sir Henry Ayers, einem ehemaligen Premierminister von South Australia.
Am Wochenende nach der Schließung soll es am Uluru eine feierliche Zeremonie geben, von Aborigines und Weißen gemeinsam. Sicherheitshalber wird auch die Polizei dabei sein. Die Woche danach wird dann die Kette abgebaut und auch die 138 stählernen Pfosten, die bis zu 30 Zentimeter in den roten Stein gerammt wurden. Auch die Gedenksteine für die Toten und die Platte, die ganz oben in alle Richtungen weist, werden dann nach unten geholt.
Die Einzigen, die künftig noch nach oben dürfen, sind die Anunga selbst. Sie haben dazu eigentlich aber keinen Grund. Ihre heiligen Stätten sind alle unten am Uluru, in der roten Erde. dpa