Von Christopher Weckwerth
Für Sabine Kusterer hielten die Olympischen Spiele in Rio eine besondere Herausforderung bereit: Sie musste leichter werden, um mehr Gewichte stemmen zu können. In ihrer angestammten Klasse bis 63 Kilogramm hatte sie die Qualifikation nicht geschafft, in der bis 58 Kilogramm schon. Also musste sie hungern - bis zur letzten Minute.
«Ich habe mir mein Essen für die letzten Tage vor dem Wettkampf mitgebracht, damit ich gar nicht in Versuchung komme, doch noch mehr auf den Teller zu laden», erzählte die 25-Jährige. Jeden Mittag gab es für sie nur Reis mit Apfel. «Damit konnte ich noch ein bisschen entwässern.» Eine Quälerei, gerade im Vergleich zu den Schwergewichten im Gewichtheben, etwa Almir Velagic, der sich inklusive «Eiweiß-Shakes in der Nacht zum Nippen» rund 8000 Kalorien am Tag einverleibt.
Erst in der Nacht vor ihrem Olympia-Debüt rutschte Kusterer unter die erforderliche 58-kg-Marke. «Nach der Waage habe ich sofort was getrunken und gegessen.» Zwischen Reißen und Stoßen gab es im Wettkampf dann eine Banane mit Schokolade. Der Lohn: Eine persönliche Bestleistung von 90 plus 110 Kilogramm und Platz zehn in der Gesamtwertung. Ihr erster Gedanke danach: «Oh, jetzt kann ich endlich wieder trinken!»
Ganz so dramatisch ist es nicht für jeden Athleten in Rio. Dennoch hat der eine oder andere seine Macken beim Essen. Ringer-Weltmeister Frank Stäbler zum Beispiel. Der Medaillenkandidat im griechisch-römischen Stil muss ähnlich wie Kusterer mehrere Kilogramm abnehmen, um in der 66-kg-Kategorie starten zu können. Nach dem Wiegen gibt es dann: Fleischbrühe von Mama.
«Die gehört einfach immer mit dazu», sagt Stäbler. «Diesmal muss die Mama sie in Rio vor Ort selbst kochen, weil man sie wegen des langen Fluges nicht mitnehmen konnte.»
Heimatgefühle lassen auch die Hockeyspieler aufkommen. Das Toastbrot in der Mensa des olympischen Dorfs war ihnen zu langweilig. Also machten sie einen deutschen Bäcker ausfindig, der sich nun jeden Morgen über reichlich Kundschaft freuen darf. Auch Segel-Teamleiterin Nadine Stegenwalner holt dort jeden Morgen eine große Tüte Brötchen.
Die 49erFX-Seglerinnen Victoria Jurczok und Anika Lorenz versuchen zusätzlich, mit Eiweiß-Shakes an Gewicht zuzulegen. Das könnte auch den Handballern passieren. Nach dem Sieg gegen Schweden ging es für das Team ins Restaurant - mit Vorspeise, Rinderfilets und Eis. «Normal sind nur zwei Scheiben Filet pro Portion, aber wir haben auf drei upgegradet», berichtete Teammanager Oliver Roggisch.
Womöglich geht das Upgrade auch darauf zurück, dass die Olympia-Mensa keine Jubelstürme auslöst. Denn Tennisspielerin Andrea Petkovic steht ziemlich alleine da, wenn sie sagt: «Es gibt gefühlt 700 Stände mit verschiedenem Essen.»
Nicht immer sei das Essen warm, sagt Ruderer Marcel Hacker. «Halt funktional», beschreibt es Petkovics Kollegin Laura Siegemund. Und: «Es hapert an der Abwechslung. Ein bisschen Variabilität wäre ganz gut», erzählt Handballer Julius Kühn. «Aber man findet immer was, so dass man ausreichend mit Nahrung ausgestattet ist.» Ähnlich nüchtern bilanziert Radprofi Emanuel Buchmann: «Ich habe keine Bedenken, dass man sich da irgendwelche Krankheiten holt.»
Eine gewisse Vorsicht lässt dagegen Carina Bär walten, die mit dem Ruder-Doppelvierer die Goldmedaille gewann. «Eigentlich sollen wir nur essen, was wir kennen. Aber nur Pizza und Pasta geht auch nicht die ganze Zeit. Ich achte darauf, nur Gekochtes zu essen, damit ich mir nichts einfange.» Hans Gruhne vom Doppelvierer der Männer, ebenfalls Olympiasieger, versuchte sich als Restauranttester: «Die Auswahl an Fleisch ist nicht so. Auch der Geschmack an sich, manches ist sehr scharf, anderes hat kaum Geschmack. Aber im Großen und Ganzen ist das schon in Ordnung.»
Wer nun aber denkt, dass es im Athletendorf immer nur gesund und ausgewogen zugeht, liegt falsch. Die Zwillinge Anna und Lisa Hahner etwa, die im Marathon starten, nehmen sich auch für ein Stückchen Kuchen gerne Zeit: «Wir gehen in der Mensa immer die ganze Ausgabe lang, wo es den besten gibt», sagt Anna Hahner. «Unser Favorit ist chocolate cake - und Orangenkuchen.»
Und vor dem für die Athleten kostenlosen Fast-Food-Restaurant im olympischen Dorf bilden sich regelmäßig meterlange Schlangen, auch mit deutschen Sportlern - obwohl Handballer Kühn beteuert: «Ich glaube, da sind unsere Betreuer ein bisschen weiter vorne im Rennen.» dpa