Wiener Kaffeehaus-Urgestein Hawelka ist tot

Eine Legende der Wiener Kaffeehauskultur ist tot. Leopold Hawelka, Gründer des gleichnamigen berühmten Treffpunkts von Künstlern und Intellektuellen, starb am Donnerstag im Alter von 100 Jahren an Herzversagen, wie seine Tochter Herta Hawelka sagte. Ihr Vater gründete das nur 80 Quadratmeter große Café Hawelka 1939. «Bis vor Weihnachten letztes Jahr war er jeden Tag dort», sagte die Tochter.

Mit seinen nikotinvergilbten Wänden, Plüschsofas und charmant-übellaunigen Kellnern zog das Hawelka Künstler wie André Heller und Friedensreich Hundertwasser oder Dichter wie H.C. Artmann und Ilse Aichinger an. Das Café wurde auch zum etablierten Programmpunkt für viele Touristen und Politiker auf Wien-Besuch, darunter etwa Hans-Dietrich Genscher, Bill Clinton und Václav Havel.

«Legende», «Kult-Cafetier», «ein Unsterblicher»: Mit großen Worten und viel Sympathie haben Wiener Medien am Freitag den Kaffeehausbesitzer Leopold Hawelka gewürdigt. Hawelka war Inbegriff der Wiener Kaffeehauskultur, sein gleichnamiges Café in der Innenstadt galt lange als Wohnzimmer der Künstler- und Kreativszene. «Leopold Hawelka war ein Stück Wiener Kultur», hielt Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny fest.

Kulturministerin Claudia Schmied erklärte, «er verstand es, der Gastfreundschaft eine besondere Note zu geben verbunden mit einem spezifischen Flair, das sich nur in seinem Kaffeehaus für alle Zeiten wiederfand». Das Café in der Dorotheergasse nahe dem Stephansdom habe einen Raum geboten, «in dem vieles entstehen konnte und prägende Persönlichkeiten aufeinander trafen».

Leopold Hawelka, der am 11. April seinen 100. Geburtstag feierte, hatte das Lokal 1939 mit seiner Frau Josefine gekauft. dpa

Café Hawelka nach dem Tod des Gründers

Touristen schreiben Karten, eine Runde junger Männer stärkt sich bei Würstl mit Saft, ein amerikanisches Ehepaar möchte die berühmten «Buchteln» kosten. Im Café Hawelka in der Wiener Innenstadt herrscht reges Treiben an diesem Freitag. «Es muss weitergehen, auch wenn es sehr traurig ist», sagt ein Kellner. Ein Gast vom Nebentisch raunt: «Aber der heimliche Chef ist immer noch da», und weist auf ein Bild neben der Eingangstür. Es zeigt Josefine und Leopold Hawelka.

Ein eisiger Wind fegt durch Wien an diesem Freitag, Touristen drängen sich in der exklusiven Kärntner Straße, vor den Kaiserappartements in der Hofburg bildet sich eine Schlange. In einer etwas ruhigeren Seitengasse, zwischen Galerien und Antiquitätenläden, steht die Eingangstür zu dem kleinen Café offen. Gelegenheitsgäste, die sich bei einem Kaffee aufwärmen wollen, mischen sich mit Stammpublikum und «Hawelka»-Verehrern, die betroffen sind von der Nachricht vom Tod des «Alten» Hawelka.

Respektvoll wird der Stammplatz des alten Herrn freigehalten, der noch im vergangenen Jahr häufiger Gast im eigenen Lokal war: Das zerschlissene rot-gelb gestreifte Sofa in der Mitte des Raumes mit Blick auf die Eingangstür. «Der Herr Hawelka», wie er von Kellnern und Gästen genannt wurde, hatte das Café mit seiner Frau Josefine 1939 gekauft und über Jahrzehnte selbst geführt.

Die Einrichtung im Jugendstil der 1920er Jahre blieb seit der Eröffnung unverändert, Wände und Stoffe sind mit Patina überzogen. Das kleine, dunkle Lokal, in dem auch am hellen Tag oft Licht nötig ist, zog in den 60er und 70er Jahren Künstler und Nachtschwärmer an. Aufstrebende Künstler und Szene-Größen wie H. C. Artmann oder André Heller, Friedensreich Hundertwasser und Ilse Aichinger machten «das Hawelka» zu ihrem verlängerten Wohnzimmer und zu einer Legende.

Zur lebenden Legende wurde auch das Gründerpaar. Leopold stand über Jahrzehnte hinweg mit aufmerksamem Blick an der Theke, während seine Frau Josefine quirlig durch den kleinen Raum wuselte. Auch wenn alles vollbesetzt war, sie zauberte von irgendwoher immer noch einen Sessel für einen neu angekommenen Gast. Nach ihrem Tod im März 2005 arbeitete er noch weiter, während bereits der Sohn Günter und schließlich die Enkel Michael und Amir einstiegen.

«Das Hawelka ist ein Sonderfall», erklärt Berndt Querfeld, Obmann des Fachverbandes der Kaffeehausbesitzer, in Wien auch «Kaffeesieder-Verband» genannt, der dpa. Die Befürchtung so mancher Stammgäste, dass mit dem Tod des Gründers auch das langsame Ende des Cafés eingeleitet sein könnte, teilt er nicht.

Zwar habe Leopold Hawelka sein Lebenswerk in einer Haltung geführt, die bei heutigen Geschäftsführern kaum mehr vorhanden sei: «Sein Leben war das Kaffeehaus, und diese Haltung hat er als einer der letzten Gründer noch so gelebt. Er war einer der letzten der alten Schule.» Aber er habe dem winzigen Café einen singulären Ruf eingebracht.

Das bestätigt die Wahl-Wienerin Inge, die aus Sentimentalität in das Café kommt. «Ich habe hier vor zwanzig Jahren meinen ersten Abend in der fremden Stadt verbracht», erzählt die Fotografin aus der Nähe von Augsburg. «Frau Hawelka hat mich mit anderen Gästen ins Gespräch gebracht, und ich habe mich einfach sofort wohlgefühlt. Jetzt möchte ich einen kleinen Braunen trinken und an sie und ihren Mann denken.» (Irmgard Rieger, dpa)