Wolfram Siebeck ist tot

Von Jürgen Ruf und Gregor Tholl

 


Angeblich aß Wolfram Siebeck erst mit etwa 80 Jahren
seine erste Currywurst - und er fand es natürlich fürchterlich: "Mein
Hunger auf Currywurst ist bis zum Lebensende gestillt", sagte er
danach. Bis ins hohe Alter behielt der Gourmet, Gastronomiekritiker,
Buchautor und Kolumnist seinen Biss. Er verstand sich als das
kulinarische Gewissen Deutschlands. "Wer etwas bewegen und verändern
will, muss Klartext reden und zubeißen können", sagte er über seine
Arbeit. Am Donnerstag starb Siebeck, der in einem Schloss im
badischen Mahlberg in der Nähe von Freiburg wohnte, mit 87 Jahren.

Gourmet Granden: Dieter Biesler, Hans-Peter Wodarz, Wolfram Siebeck, Sven Elverfeld, Eckart Witzigmann und Otto Koch Foto: Ritz Carlton Wolfsburg


Er starb nach kurzer schwerer Krankheit in einem Krankenhaus in Lahr
- unweit seines Wohnortes, wie seine Ehefrau der Deutschen
Presse-Agentur sagte.

Vor ein paar Jahren, als er 85 wurde, sagte Siebeck zufrieden: "Das
Essen und Trinken ist vor mehr als 60 Jahren zu meinem Lebensinhalt
geworden." Er verstand sich als Teil der "genießenden Linken", ätzte
gegen das oft genussfeindliche "protestantische Erbe" in Deutschland.
Oft und gerne fuhr er in den vergangenen Jahrzehnten nach Frankreich.
Das Land lag nah an seinem Zuhause, nur wenige Kilometer entfernt.

Um 1950 herum, mit etwas über 20, begann er mit dem guten Essen. Es
war damals eine Reise nach Frankreich, die ihn auf den Geschmack
brachte. Kulinarisch verwöhnt war er zuvor keinesfalls. "Meine Mutter
und meine Großmutter kochten miserabel, außerdem gab es in den
Kriegsjahren nichts Gescheites zu essen."

Im Land der Mehlschwitzengerichte und "Plumpsküche deutscher
Hausfrauen" wurde er in den folgenden Jahrzehnten zum Botschafter für
gutes Essen und Trinken. Er war beispielsweise dafür,
Gänseleberpastete zu genießen, Fleisch nicht durchzubraten oder
Innereien wie Kutteln als Spezialität zu würdigen - in der frühen
Bundesrepublik alles keine Selbstverständlichkeit.

1928 in Duisburg geboren, wuchs Siebeck in Essen und Bochum auf. Bei
Kriegsende geriet Siebeck 1945 als Flakhelfer in Norddeutschland in
britische Kriegsgefangenschaft war einige Monate auf der Insel
Fehmarn interniert. Bald danach besuchte er die Werkkunstschule in
Wuppertal, wo er eine Ausbildung zum Grafiker absolvierte.

Zunächst arbeitete er als Schildermaler, wurde dann bei der damals
neu gegründeten "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (WAZ)
Pressezeichner. Er war längere Zeit freier Illustrator, wurde dann
zum Autor. Er schrieb für Zeitungen und Zeitschriften wie "Twen",
"Stern", dann viele Jahre für die Wochenzeitung "Die Zeit", später
auch fürs "Zeit"-Magazin und die Gourmet-Zeitschrift "Der
Feinschmecker".

Seine Kritiken waren oft umstritten, viele Leser störten sich am
angeblich arroganten Ton und dem zur Schau getragenen Hedonismus -
andere liebten ihn genau dafür. Er veröffentlichte viele Bücher,
wurde selber zu einer Marke. Dazu trugen auch Fernsehsendungen mit
ihm bei. In den letzten Jahren versuchte er sich sogar als Blogger.

"Bei mir steht die Aufklärung der Konsumenten an oberster Stelle",
sagte Siebeck. "Essen und Trinken ist in aller Munde. Aber richtig
weitergekommen sind wir in all den Jahren nicht, im Gegenteil",
meinte er bis zuletzt. Seine Kritik: "Die Deutschen geben zu wenig
Geld für gutes Essen aus und sie sind dem Wahn der Fertiggerichte
verfallen." Doch genießen lasse sich lernen. "Statt im Supermarkt
sollten die Menschen beim guten Metzger, Käsehändler oder Erzeuger
vor Ort einkaufen", riet er. "Das bringt Lebensqualität."

Er kultivierte sich als Gegner von Kochshows ("Besser kochen oder
essen können sie dadurch nicht") und Kochbüchern ("Den meisten
Menschen dienen Kochbücher lediglich als Ausstellungsstück fürs
Bücherregal"). Mit Vegetariern konnte er überhaupt nichts anfangen
("Lebensfreude oder pure Lust am Essen kann ich bei Vegetariern nicht
entdecken"). Mit deutlich formulierten Ansichten wie diesen machte er
sich naturgemäß nicht nur Freunde.

Siebeck und seine Frau Barbara, Ex-Frau des bekannten Fotografen Will
McBride, die drei Söhne in die Ehe brachte, kochten selten zu Hause.
Sie gingen gerne essen und reisten oft, um Küche und Köche anderer
Länder kennenzulernen. Zum Einkaufen nutzten sie am liebsten den
Wochenmarkt. dpa

Witzigmann: Siebeck war kulinarisches Gewissen einer ganzen Nation

Als "kulinarisches Gewissen einer ganzen Nation" hat der Münchner Sternekoch Eckart Witzigmann den gestorbenen Gourmet Wolfram Siebeck gewürdigt. Er sei dabei nicht immer bequem, aber immer treffsicher gewesen, sagte Witzigmann am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Er habe ihm deshalb sein "Kalbsbries Rumohr" gewidmet und zu seinem 80. Geburtstag nochmals serviert.

Siebeck habe stets mitgeholfen, die Spitzenküche aus ihrem Elfenbeinturm heraus in das Bewusstsein ein breiten Öffentlichkeit zu transportieren. "Und damit hat er nicht nur dem ganzen Berufsstand Koch, sondern vor allem weiten Teilen der Bevölkerung Augen und vor allem Nase und Mund für Qualität beim Essen geöffnet", sagte Witzigmann. "Ich werde ihn und seine Kommentare sehr vermissen."