Wolfram Siebeck zum 85.

Von Jürgen Ruf

Wolfram Siebeck hat seinen Biss behalten. Der bekannte Gastronomiekritiker, Gourmet, Buchautor und Kolumnist sitzt am Schreibtisch und tippt auf die Tasten seines Computers. Er findet scharfe Worte, formuliert beißende Kritik. Siebeck versteht sich als das kulinarische Gewissen Deutschlands, seit mehr als sechs Jahrzehnten kämpft er gegen Fast Food und Fertiggerichte. «Wer etwas bewegen und verändern will, muss Klartext reden und zubeißen können», sagt er. Dies will er auch zukünftig tun. Am kommenden Donnerstag (19. September) wird Siebeck 85 Jahre alt.

«Das Essen und Trinken ist vor mehr als 60 Jahren zu meinem Lebensinhalt geworden, so wie das Schreiben», sagt der renommierte Restaurantkritiker, der im baden-württembergischen Mahlberg bei Freiburg lebt. 1950 hat er damit begonnen. Eine Reise nach Frankreich brachte ihn auf den Geschmack. Kulinarisch verwöhnt war er bis dahin nicht. «Meine Mutter und meine Großmutter kochten miserabel, außerdem gab es in den Kriegsjahren nichts Gescheites zu essen.» Zurück in Deutschland entschied er sich, Botschafter für gutes Essen und Trinken zu werden.

Siebeck schreibt für Zeitungen und Zeitschriften, seit den 1970er Jahren zum Beispiel für die «Zeit». Er hat unzählige Bücher veröffentlicht und betätigt sich seit rund einem Jahr als Blogger. Unter dem Motto «Wo isst Siebeck» schreibt er im Internet ein persönliches Reisetagebuch. Er nutzt das Medium, weil die Zahl seiner Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften in den vergangenen Jahren geringer geworden ist.

Autor und Aushängeschild ist er unter anderem für das «Zeit»- Magazin. «Wir sind glücklich darüber, Wolfram Siebecks unvergleichbare Mischung aus Witz und Strenge bis heute zu veröffentlichen - und können nicht glauben, dass er wirklich schon 85 Jahre wird», sagt Chefredakteur Christoph Amend.

«Bei mir steht die Aufklärung der Konsumenten an oberster Stelle», sagt Siebeck. Am Ziel sieht er sich noch lange nicht. «Essen und Trinken ist in aller Munde. Aber richtig weitergekommen sind wir in all den Jahren nicht, im Gegenteil.» Seine Kritik: «Die Deutschen geben zu wenig Geld für gutes Essen aus und sie sind dem Wahn der Fertiggerichte verfallen.» Doch genießen lasse sich lernen. «Statt im Supermarkt sollten die Menschen beim guten Metzger, Käsehändler oder Erzeuger vor Ort einkaufen», rät er. «Das bringt Lebensqualität.»

Seinen Schreibstil will er auch im Rentenalter beibehalten, Altersmilde kann er bei sich nicht feststellen. «Das, was der Masse gefällt, gefällt mir nicht», sagt Siebeck, der seinen Ruf als schreibender Querdenker gerne kultiviert. Es gibt vieles, was ihm nicht schmeckt. Ärgern kann er sich zum Beispiel über Kochshows im Fernsehen. Er nennt sie hysterisch.

«Die Zuschauer nehmen das als Unterhaltung. Besser kochen oder essen können sie dadurch nicht», sagt er. Komme so eine TV-Sendung, schalte er sofort aus - obwohl er in den 1980er Jahren selbst mal eine entsprechende Fernsehshow hatte. Und auch ein Kochbuch nehme er nur selten in die Hand. «Den meisten Menschen dienen Kochbücher lediglich als Ausstellungsstück fürs Bücherregal. Am Herd greifen sie weiter zur Tütensuppe und zu Mahlzeiten aus der Dose.»

Auch Vegetarier sind nicht nach Siebecks Geschmack. «Menschen, die beim Anblick einer Metzgerei in Ohnmacht fallen, sind mir ein Graus.» Gutes Essen mit Fleisch werde bewusst schlecht geredet. «Die Fraktion der Kampf-Vegetarier hat überhandgenommen», sagt er. «Lebensfreude oder pure Lust am Essen kann ich bei Vegetariern nicht entdecken.»

Siebeck und seine Frau Barbara kochen selten zuhause, sie gehen gerne essen. Und sie reisen, um Küche und Köche anderer Länder kennenzulernen. Zum Einkaufen nutzen sie am liebsten den Wochenmarkt. Mehrmals die Woche fahren sie nach Frankreich. Das Land liegt fast vor der Haustür: Das badische Mahlberg ist nur wenige Kilometer von der deutsch-französischen Grenze entfernt.

Vor 33 Jahren haben sie sich hier niedergelassen, sie wohnen in einem 1630 im Barockstil erbauten Schloss, dem Wahrzeichen der 4700 Einwohner zählenden Gemeinde. Der Ort steht seinem prominenten Einwohner gespalten gegenüber: Mit deutlichen Worten hat Siebeck vor Jahren die örtliche Gastronomie kritisiert. Freunde hat er sich damit nicht gemacht.

Den Geburtstag feiert der Gourmet stilecht - mit einem guten Essen. Experimente will er diesmal nicht eingehen. Vor fünf Jahren, als er 80 Jahre alt wurde, hat er seine erste Currywurst verspeist. Es war ihm eine Kolumne wert. Seine Kritik fiel beißend aus. «Mein Hunger auf Currywurst», sagt er, «ist bis zum Lebensende gestillt». dpa