Von Sönke Möhl
Seit 50 Jahren schmücken sich die besten Restaurants in Deutschland mit «Michelin»-Sternen. Die Inspektoren des für Feinschmecker wichtigen «Guide Michelin» testen sich immer wieder durch die edelsten Küchen der Republik. Sie sind Angestellte des Unternehmens, urteilen nach festen Regeln und zahlen ihre Rechnungen stets selbst. Ausschließlich Qualität und Geschmack der Speisen sollen über Stern oder nicht Stern entscheiden.
Köche, Gäste und Angebot hätten sich im Laufe der Zeit stark gewandelt, sagt der Chefredakteur des Restaurantführers, Ralf Flinkenflügel. Viele Sternerestaurants verzichten inzwischen auf die früher selbstverständliche vornehme Atmosphäre. In etlichen Restaurants etwa gibt es keine Tischdecken mehr. Jeans und offenes Hemd sind längst kein Grund mehr, als Feinschmecker einen Bogen um die Sterne zu machen. Viele Köche sind jung, das Publikum auch - und vegetarisch gehört selbstverständlich dazu.
«Die deutsche Küche hat sich entwickelt und wird von Jahr zu Jahr besser», sagt Flinkenflügel. So sei die Zahl der Sternerestaurants in den vergangenen Jahren um ein Viertel gewachsen. «Es gibt eine Generation von jungen Köchen, die mit Ehrgeiz und Enthusiasmus an ihre Arbeit gehen.» Einige Sterneköche seien jünger als 30 Jahre. Viele Nachwuchsköche hätten großen Ehrgeiz, sie ließen sich in guten Häusern ausbilden und gingen dann auf Wanderschaft.
Den leichteren, entspannteren Umgang mit der guten Küche nennt Flinkenflügel «casual fine dining». «Weg von diesem Steifen, von diesem Pompösen.» Viele Restaurants seien puristisch eingerichtet. «Viele Köche haben erkannt, dass Gäste das möchten: Sie möchten einfach gut essen in einer ungezwungenen Atmosphäre.» Das Drumherum zählt aber nicht für die Bewertung. Denn: «Was bei uns den Stern ausmacht, ist das, was auf dem Teller ist», betont der 50-Jährige.
Als Beispiel für diesen Trend stehe das Restaurant «Horváth» in Berlin, das gerade zum Zwei-Sterne Haus aufgestiegen ist. «Puristische Einrichtung ohne viel Drumherum, keine Tischdecken, lockerer, angenehmer Service, fachlich sehr kompetent», lobt Flinkenflügel. Dazu gebe es regionale Produkte.
Mut und Aufbruch zeigen sich zuweilen schon im Namen: «Nobelhart & Schmutzig» in Berlin-Kreuzberg bekommt in diesem Jahr einen Stern. Das Konzept heißt «brutal lokal» und lässt nur Produkte aus der Region zu, also gibt es weder Pfeffer noch Zitronen noch Olivenöl. «Da ist viel Kreativität gefragt», sagt Küchenchef Micha Schäfer. Schärfe etwa lasse sich auch mit Sprossen, Rettich oder Kräutern ins Essen bringen.
In den Anfangsjahren des «Michelin»-Führers dominierten dem Zeitgeist der Feinschmecker folgend noch größere Portionen mit viel Fleisch. Das habe sich langsam gewandelt. Eckart Witzigmann holte in den 70er Jahren von München aus die französische Nouvelle Cuisine nach Deutschland und Harald Wohlfahrt bildete im Schwarzwald eine ganze Generation moderner Spitzenköche aus. Drei-Sterne-Koch Christian Bau vom «Victor's Fine Dining» im saarländischen Perl beschrieb Wohlfahrt zu dessen 60. Geburtstag kürzlich als genialen Koch, Mentor und Ziehvater. «Keiner reicht an ihn heran.» Dutzende Sterneköche gingen durch Wohlfahrts Küche.
Immer wieder finden neue Trends Eingang in die Sterne-Küche. «Langsam trauen sich einige Köche auch ans Vegane heran», sagt der Chefredakteur. Vegetarische Menüs seien in den Top-Restaurants ohnehin kaum noch wegzudenken.
Für den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) haben die verschiedenen Preise, Sterne und Auszeichnungen in der Branche den positiven Effekt, dass sie für Strahlkraft sorgen und immer auch die gesamte Branche auszeichnen. «Und vor allem: Spitzenleistungen motivieren den Nachwuchs», sagt Dehoga-Sprecher Christopher Lück. Entscheidend beim gastronomischen Konzept sei Authentizität. «Man kocht immer für den Gast und nie für Sterne, Restaurantführer oder andere Auszeichnungen.»
In mehr als 50 Jahren hat sich auch der «Guide-Michelin» verändert. Der Trend zum Digitalen ist unverkennbar. Den Nutzern steht ein Internet-Angebot zur Verfügung und es gibt Apps für das Smartphone.
Einen einsamen Rekord hält das Restaurant «Adler» in Häusern (Schwarzwald): Es hat in jedem Jahr seit 1966, als die ersten Auszeichnungen in Deutschland vergeben wurden, einen Stern bekommen. dpa