Am Anfang gab es nur einen betagten Traktor Marke “Bergmeister” und ein paar verstreut liegende Wingerte. Das war 1991. Hans Oliver Spanier erholte sich von einem tragischen Unfall, der seine Pläne änderte. Den Schlepper legte er sich vom Krankentagegeld zu. So fing alles an.
“Meine Familie ist seit 300 Jahren im Wonnegau und im Zellertal verwurzelt. Der Name kommt ja nicht von ungefähr. Meine Vorfahren waren Söldner, bezahlte Krieger aus Europas Süden während des Dreißigjährigen Kriegs. Spanier bedeutet einfach: Spanier. Denn da kamen die Buben her – und sind in Rheinhessen hängen geblieben.”
H.O.s Familie hatte immer Weinberge. Aber als er sich entschloss, Wein zu machen, war die Lage desaströs. Ein Himmelfahrtskommando eigentlich. Der rheinhessische Weinbau lag am Boden, runtergewirtschaftet, ohne
Idee und Konzept, geprägt von Weinskandal und Preisverfall – Rheinhessen neu zu denken, das ging nur mit einer Radikalkur”. Offene Türen rannte H.O. mit seinem unbedingten Exzellenzanspruch bei dem kleinen Kreis an MitstreiterInnen für ökologischen Weinbau ein. In dieser Clique, die sich im Kern aus Ecovin-Betrieben zusammensetzte,
wurde die weinbauliche Grundlage für die Identität des Weinguts gelegt.
“Man darf nur dann über ‘Terroir’ sprechen, wenn man den Boden und seine Mikrolebewesen respektiert und schont. Sonst gibt es kein Terroir“– eine Ansicht, mit der der junge Hans Oliver Spanier in der Branche aneckte.
Die Konsequenz, mit der er fortan einen Wingert gegen den nächst besseren, steinigeren Weinberg tauschte, mit wilden Hefen spontan vergor, die Weine lange im Fass reifen ließ und vom Ökoweinbau auf biologisch-dynamischen Weinbau umstellte, hatte ihm keiner so richtig zugetraut. “Meine Freude für Lebensstil und an schönen Dingen hat
die Leute immer ein bisschen überrascht. Die Arbeit dahinter sehen die wenigsten.” Was anfangs aufgrund geringer finanzieller Mittel eine Notwendigkeit war, machte Spanier bald zum Prinzip und pflegt es bis heute: Den Vertrieb und die Repräsentation besorgen Profis auf ihrem Gebiet. „Meilen-Sammeln lohnt sich für mich nicht. Ich werde im Weinberg und im Keller gebraucht. Nur wer als Winzer alles überblickt, kann sich auf die Fahne schreiben, kompromisslose Qualität zu erzeugen.“
Sein Faible für das nahe Zellertal, ein markantes, fruchtbares Flusstal mit uralter Kulturgeschichte zwischen Rhein und Nahe, hat damals in der Branche niemand ernst genommen. “Das Zellertal hatte sich vom Tal der ‘dicken Weinbauern’ um 1900 zu einem rheinhessisch-pfälzischen Armenhaus entwickelt”, führt H.O. Spanier aus, “an den grandiosen
Kalkfels-Lagen hatte sich aber je nichts geändert.” Das Interesse für die Rebe selbst und den Untergrund, in dem die Reben wurzeln, hat Spanier dabei angetrieben. Und so kaufte er seinen ersten Wingert im Frauenberg, lange bevor man in den Dörfern ringsum verstand, was das eigentlich sollte. Es folgten der Zellerweg am Schwarzen Herrgott und der Zeller Kreuzberg, heute allesamt als VDP.GROSSE LAGE klassifiziert und weltweit mit Höchstnoten der Weinkritik ausgezeichnet.
Die Preise für Weinberge im Zellertal steigen. Das freut Hans Oliver Spanier: “Es ist der richtige Weg. Die Lagen sind einmalig, die Kulturgeschichte ist einmalig. Man schmeckt es den Weinen an. Der Ausdruck und die Aura großer Weine waren von Anfang an da.”
Der gemeinsame Wein-Weg mit seiner Frau Carolin beginnt 2006. Sie bringt das Weingut ihrer Familie, Kühling-Gillot, mit in die Ehe - fortan bespielt H.O. neben Wonnegau und Zellertal auch den Roten Hang. Ein anerkanntes Terroir, keines, das man erst aufbauen muss. Aber er hat es geprägt, als Vorreiter. Mittlerweile ist der Hang nahezu herbizidfrei
– von Spanier und seinen KollegInnen, die schnell mitgezogen haben.
Für Carolin und H.O. ist das Prinzip “Miteinander” nicht nur das Motto der beiden Weingüter, es ist gelebte Selbstverständlichkeit. Zusammen haben sie den Betrieb in Hohen-Sülzen mit Traubenverarbeitung, Fass- und Flaschenreifekeller gebaut, in dem die Weine beider Weingüter erzeugt werden und lagern. “Mein Mann hat den Weinstil revolutioniert“, sagt Carolin Spanier-Gillot, “er war immer radikaler, überzeugter, extremer und verbissen penibel – mit seinem absoluten Fokus auf Qualität.” Seine Überzeugung teilen nur einige wenige WinzerInnen auf dieser Welt. Und diese haben ihn vor nicht allzu langer Zeit in die “Académie Internationale du Vin” berufen, als einen von nur einer
Handvoll deutschsprachigen WinzerInnen.
2020 haben Carolin und Hans Oliver einen vorerst letzten Meilenstein finalisiert. “Die dritte Dimension des Weins hat mich immer am meisten fasziniert”, sagt Spanier, “die Reife macht den Unterschied von einem guten zu einem herausragenden Wein.” Auf 1800 Quadratmetern Fläche entstand ein unterirdischer, naturkühler Keller. Eine gewaltige
Investition für die Zukunft, um Weine zum perfekten Zeitpunkt auf den weltweiten Markt bringen zu können.
Die Perspektive auf die nächsten 30 Jahre fällt geteilt aus: „Für uns liegt die Zukunft darin, unsere Weine zum größten Teil in einem perfekt kurartierten Umfeld zu vermarkten: in der richtigen Trinkreife im Verkauf und von den besten Restaurants und Händlern der Welt für den richtigen Rahmen empfohlen“. Die größte Baustelle bleibt die Vitalität der Reben an den besten Standorten. Während anderswo vermehrt bewässert wird, setzt H.O. Spanier auf „dry farming“. Die Herausforderungen im Roten Hang sind diesbezüglich enorm. Spanier weiß, dass er schon ein paar richtige Antworten darauf gefunden hat, aber gibt zu bedenken: „Die Natur zeigt uns den Weg. Nur wenn wir richtig zuhören, werden wir die
richtigen Lösungen finden“ – und wiederholt damit den, seit 30 Jahren von ihm aufrichtig gelebten Leitsatz.