Von Martina Herzog und Andrea Löbbecke
Es ist ein Alptraum für Touristiker: Die steilen Hänge der Mosel ohne Weinberge. «Kaum denkbar, ein solches Bild», schaudert es die rheinland-pfälzische Landwirtschaftsministerin Ulrike Höfken (Grüne). Ohne die Rebpflanzungen ginge ihrem Bundesland eine seiner Hauptattraktionen verloren.
Ein EU-Beschluss könnte die Abwanderung der Winzer ins Tal beschleunigen, fürchten Ministerin und Weinverbände. Doch die Aufregung ist ein Gutteil Sturm im Weinglas: Fünfzehn EU-Länder, darunter Deutschland und die größten Erzeuger Spanien, Frankreich und Italien wollen nun eine Kehrtwende.
Vor gerade einmal vier Jahren haben die europäischen Regierungen noch selbst beschlossen, dass die Flächen-Beschränkungen für den Weinbau (Weinpflanzrechte) zwischen 2015 und 2018 abgeschafft werden.
Heute wollen sie davon nichts mehr wissen. Wenn mehr Wein erzeugt werden dürfte, kämen die Preise ins Rutschen, heißt es von Seiten der Wein-Lobby. Kleine Qualitätswinzer gerieten ins Ächzen und gerade die pittoresken aber arbeitsintensiven Weinberge in Steillage drohten zu verfallen.
«Der Wein ist für uns mehr als ein Produkt, er ist eine ganze Kultur», beschrieb es die grüne Ministerin Höfken jüngst in Brüssel. Das spült Geld auch in die Kassen der Tourismusindustrie.
Die Liste jener Länder, die die Pflanzrechte beibehalten wollen und damit eine Begrenzung der Anbaufläche, hat inzwischen beträchtliche Länge erreicht. Vor einem Jahr unterzeichneten Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal, Rumänien, Ungarn und Zypern einen Protestbrief an EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos.
Mittlerweile haben sich auch Bulgarien, Griechenland, die Slowakei, Spanien und Tschechien und sogar Wein-Außenseiter Finnland der Kampagne angeschlossen. Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums vertritt diese Koalition 97 Prozent der europäischen Weinerzeugung.
Angesichts so breiten Widerstands stellt sich die Frage, wie die ungeliebte Abschaffung der Pflanzrechte je die Zustimmung von Europaparlament und nationalen Regierungen bekommen konnte. Europaabgeordnete wie Experten sagen: Auf Betreiben der vorigen EU-Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel.
Die Dänin wollte die stark reglementierte europäische Landwirtschaft entstauben und auch den Weinmarkt liberalisieren. Die Zustimmung sei ein Kompromiss gewesen, erklärt die CDU-Abgeordnete Christa Klaß, selbst Winzerin.
Im Gegenzug hätten sich die Länder Nordeuropas die Erlaubnis gesichert, günstigere Weine auch weiterhin mit Zucker aus Rüben anzureichern statt mit dem deutlich teureren Traubenzucker aus Südeuropa. «Wir haben zähneknirschend zugestimmt», sagt Klaß. «Diese Kröte steckt uns bis heute im Hals.»
Zumal die mit einem Auslaufen der Pflanzrechte zu erwartende Ausweitung der Anbauflächen im Widerspruch steht zu Maßnahmen der jüngeren Vergangenheit. Um der eigenen Überproduktion Herr zu werden, förderte die EU jahrelang Notdestillationen und vergab Rodungsprämien. Damals wurde aus Trauben Industriealkohol und Winzer erhielten Zuschüsse, wenn sie ihre Rebzeilen dem Erdboden gleich machten. Die letzten Destillationsgelder sollen im laufenden Jahr fließen, die Rodung wird mittlerweile nicht mehr gefördert.
Der derzeitige rumänische Agrarkommissar Ciolos, eher ökologisch als liberal orientiert, lässt die Pflanzrechte-Frage nun von einem hochrangigen Expertengremium prüfen, das bis Ende des Jahres Bericht erstatten soll. Die Chancen stehen gut, dass er nach dieser gesichtswahrenden Frist die Pflanzrechte verlängert.
Was die Weinbauverbände freut, vergrämt indes die Kellereien. Europa profitiert vom Klang großer Namen - und könnte daher noch einiges mehr auf dem Weltmarkt verkaufen, argumentiert der Handel und linst dabei vor allem auf das Absatzland China. «Dort wächst der Markt jedes Jahr im zweistelligen Prozentbereich», sagt Dominik Hübinger von der Kellerei Zimmermann-Graeff & Müller.
Günstigere Weine baue China selber an - doch 120 Millionen potenzielle Kunden könnten sich das flüssige Luxusgut aus Europa leisten. Der Kontinent jedoch komme mit der Produktion nicht nach. Deshalb sei eine Abschaffung der Pflanzrechte und damit eine Ausweitung der Rebfläche dringend geboten. dpa