Burkhard Kieker und der Berlin-Tourismus

Von Esteban Engel

Sie treten meistens in Gruppen auf, sind ignorant und kennen keinen Respekt: Wenn Peter Laudenbach Berlin-Touristen beschreibt, die er täglich erlebt, ist von Gastfreundschaft kaum etwas zu spüren. In seinem Befund lässt der Journalist beim Stadtmagazin «tip» kaum ein gutes Haar an den Besuchern. «Die elfte Plage» hat Laudenbach sein Buch genannt - eine Abrechnung mit dem Hauptstadt-Hype, mit Angereisten und Einheimischen.

Hinter der Polemik verbirgt sich eine Erkenntnis, die wohl so alt ist, wie das moderne Reisen selbst: «Der Tourist zerstört, was er sucht, in dem er es findet», zitiert Laudenbach den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger. Der Satz gilt allerdings nicht nur für ferne Südsee-Inseln, sondern auch für Berlin. Ob das mittlerweile geräumte Kunsthaus Tacheles, der verruchte Club Berghain oder das neue Szeneviertel Neukölln: Was einst als Subkultur galt, ist längst kein Insidertipp mehr und zieht Massen an.

Die Subkultur sei längst ein «weicher Standortfaktor» geworden, schreibt Laudenbach, der für das Buch ein Interview mit Burkhard Kieker, dem Geschäftsführer der Marketingagentur VisitBerlin, geführt hat. Seine Kritiker würden sich Kieker als dunklen «Darth Vader der Touristification» vorstellen, schreibt der Autor. Doch Laudenbach hat auch Verständnis für den Fachmann. Kieker muss eine Stadt ohne viel Industrie und mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfe-Empfängern vermarkten. Für Berlin ist der Tourismus ein zentraler Wirtschaftsfaktor geworden.

Kieker trifft einen Nerv, wenn er von Berlin als «authentischem Gesamtkunstwerk» und «Testgebiet für alles mögliche, von Lebensentwürfen bis zur Gastronomie» spricht. Die Marktforschung habe gezeigt, dass die meisten Besucher vor allem am Berliner Leben teilhaben wollten. «Der Berlin-Tourist besuche die Stadt, «um Erwartetes abzuhaken» - die Techno-Absturzmeile, den Hipster-Hotspot, das Schmuddelloch oder den Problembezirk.

Wie dieser Ausflug in ein «urbanes Disneyland» aussieht, lasse sich etwa in der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain beobachten: «Ballermann Berlin». Durch die vielen Hostels habe man das Gefühl, dass Touristen den Stadtteil komplett übernommen hätten, wird ein Anwohner zitiert. Ganze Straßenzüge seien zu Absturz-Arealen verkommen. Dazu haben auch Billig-Airlines beigetragen. Ein Engländer berichtet, dass es für ihn günstiger sei, ein Wochenende in Berlin zu verbringen als einen Partyabend in London - Flugticket inklusive.

Den Autor als Touristenhasser abzutun, wäre zu einfach. Zwar überzieht Laudenbach zuweilen seine Urteile und spitzt Beobachtungen heftig zu. Und der Befund, Menschen würden auf Reisen gehen, um ihre Vorurteile zu bestätigen, lässt sich auf viele andere Ziele übertragen. Als Theater- und Opernkritiker blickt Laudenbach aber auf die Stadt, wie auf eine Inszenierung. Läden und Kneipen seien vielerorts nur noch «Boheme-Viertel-Signale». Umgeben von Ablegern von Konzernen und Ketten, seien die Szene-Lokale nur noch urbane «Authentizitäts-Lieferanten». dpa