Musikhören, das geht zuhause auch. Aber Pamela Schobeß vermisst die glücklichen Gesichter, bei den Gästen und den Musikern. Seit März ist ihr Berliner Club «Gretchen» mehr oder weniger dicht. «Wir sind die Ersten, die geschlossen wurden, und wir sind die Letzten, die wieder öffnen dürfen», sagt Schobeß, die auch für die Szene spricht. «Wir wissen überhaupt nicht, wann es weitergeht und wie es weitergeht.»
Die Corona-Pandemie hat im Nachtleben in Deutschland das Licht aus-, oder besser: angeknipst. Darunter leidet die Szene, die in Berlin um 100 bis 150 Adressen zählt. Sie hat international einen legendären Ruf, befindet sich derzeit aber im Lockdown. Die «Generation Easyjet», die zum Feiern übers Wochenende einfliegt, ist aus dem Stadtbild verschwunden. Eine weitere symbolträchtige Veränderung: Das «Kitkat», sonst ein Ort für Leute, die lockerem Sex nicht unbedingt abgeneigt sind, wurde zur Corona-Teststation umfunktioniert.
Das Berliner Nachtleben, es war einmal. Die langen Schlangen vor den Clubs, Leute, die bangen, ob sie es am finster blickendem Türsteher vorbei schaffen. Die Nächte auf dem «Techno-Strich» an der Warschauer Straße. Der Moscow Mule in der dunklen Neuköllner Bar. Damit ist es seit zehn Monaten vorbei.
Viele Clubs kämpfen ums Überleben, die weiter laufende Miete ist für einige ein Damoklesschwert. Zwischenzeitlich waren Veranstaltungen draußen möglich, auch in den Parks wurde gefeiert. Um sich gegen die Krise zu stemmen, werden DJ-Nächte ins Netz verlegt, Wein wird als Benefiz-Aktion verkauft. Auch der Berliner Senat macht sich für die Szene stark. Wann Clubs wieder öffnen können, ist unklar.
Konstantin Krex vom «Kater Blau» sagt: «Die Situation ist bitter, weil man nicht machen kann, was man liebt. Und weil es keine verlässliche Perspektive gibt. Man guckt von der Seitenlinie zu, wie sich die Schulden anhäufen.» Wenn man null Einnahmen habe, aber einen Großteil der Ausgaben seit Krisenbeginn einfach weiterlaufe: «Dann hapert es an so ziemlich allem.» Ein anderer Clubbetreiber, der seinen Namen nicht nennen möchte, fasst es so zusammen: «kurz vorm Abnippeln».
Der Technopionier Dimitri Hegemann («Tresor») sagt: «Wir wirtschaften genau und kalkulieren sehr hart. Wir gehen von weiteren Hilfsprogrammen aus und hoffen, dass im Juli die Sonne wieder scheint.» Marcel Weber vom schwul-lesbischen Club «Schwuz» erzählt, dass sie dank eines sehr frühzeitig aufgenommenen Kredits wohl gut durch die Krise kämen, außerdem hätten sie die Überbrückungshilfen des Bundes.
Wie es nach der Pandemie weiter gehen könnte? Ein Club erwartet, dass die Eintrittspreise wegen des Spardrucks steigen werden und dass das Nachtleben kommerzieller wird. Ob sich auch das Lebensgefühl infolge der Pandemie verändern wird, bleibt ebenfalls erstmal offen. Einige halten es für denkbar, dass das Distanzgefühl aus dem Corona-Alltag bleiben wird. Oder Leute womöglich neue Hobbys gefunden und entdeckt haben, dass man ein Wochenende auch ohne Kater mit Natur und Yogakurs bestreiten kann. Schließlich gibt es die Leute, die es kaum abwarten können, wieder zu feiern.
Bei einigen aus der Szene ist vorsichtiger Optimismus zu spüren. Marcel Weber sagt: «Wir hoffen, dass sich vor allem Solidarität und der achtsame Umgang miteinander dauerhaft etablieren und dass Clubs, Kunst und Kultur eine enorme Wertschätzung erfahren und nicht alles so als beliebig und immer verfügbar hingenommen wird.»
Pamela Schobeß, die auch Vorsitzende des Dachverbands Clubcommission ist, glaubt nicht so richtig daran, dass Tanzen mit Abstand funktionieren wird. Die Nähe und die Energie fehlen dann. «Es geht ja auch um Ekstase.» Konzerte mit Stühlen funktionieren aus ihrer Sicht schon besser. Zur Zukunft der Clubs sagt sie, ohne die Hilfen von Bund und Ländern, die bis Juni gesichert sind, ginge es überhaupt nicht.
Was ihr wichtig ist: Wenn es irgendwann wieder eine Anlaufphase gibt, braucht es weiter Hilfe. «Es kann nicht von Null auf Hundert gehen.» Denn Konzerte brauchen Vorlauf, und die Touristen werden erst nach und nach wiederkommen. Sehr viele Leute werden laut Schobeß weniger Geld fürs Ausgehen haben. Derzeit werden die Auftritte von DJs und Musikern von diesem März bereits auf den März 2022 verschoben. Bis das Nachtleben wieder wie vor der Krise ist, könnte es bis Ende 2022 dauern, sagt Schobeß.
Dimitri Hegemann vom «Tresor» glaubt, dass die Sehnsucht nach dem Anderen, nach der «zwanglosen Party» in dunklen Räumen, das Berühren und das Miteinander bleiben werden. Denn darum geht es seiner Meinung nach. Die berühmteste Berliner Adresse, das «Berghain», hält sich wie immer bedeckt und will sich zur Lage der Clubs nicht äußern. Bevor auch die Museen schlossen, zog eine Kunstausstellung in das ehemalige Heizwerk ein. Das Motto: «Morgen ist die Frage». dpa