Von Peter Zschunke
Nie knallen so viele Sektkorken wie in den letzten Wochen des Jahres und in keinem Land so oft wie in Deutschland. Pro Kopf werden nach der jüngsten Statistik des Deutschen Weininstituts dreieinhalb Liter Schaumwein im Jahr getrunken - allerdings waren es fünf Jahre zuvor noch vier Liter. Es gebe einen gewissen Trend zu höherwertigen Sekten, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Dabei findet der Winzersekt zunehmend Beachtung.
«Die Qualität deutscher Sprudler ist in den letzten Jahren auf geradezu abenteuerliche Weise nach oben gegangen», heißt es im «Vinum Weinguide 2019». Der dort als Vorreiter und Pionier für hochklassige Sekte bezeichnete rheinhessische Winzer Volker Raumland stellt bei Blindproben fest, dass es den Teilnehmern schwer falle, im Vergleich mit Champagner bei Geruch und Geschmack die Unterschiede zu erkennen.
Im vergangenen Jahr wurden 96 000 Hektoliter Champagner nach Deutschland importiert. Das waren rund 14 Prozent aller importierten Schaumweine und 1,3 Prozent mehr als 2016.
«Wir haben unseren eigenen Stil, das ist keine Kopie eines Champagners», sagt Raumland. Auch wenn die Art der Herstellung mit der zweiten Gärung in der Flasche die gleiche sei wie in der Champagne, gebe es in Rheinhessen doch ein ganz anderes Terroir, einen eigenen Bodencharakter. «Statt der Kreideböden wie in der Champagne haben wir Muschel- und Algenkalkböden - das ist auch kein schlechtes Terroir.» Und klimatisch sei die Champagne im Vergleich zu Rheinhessen eher benachteiligt.
«Für mich ist Winzersekt eines der am meisten unterschätzten Produkte, die wir in der Weinbranche haben», sagt Büscher. «Winzersekte befinden sich in der Qualität auf Augenhöhe mit der internationalen Konkurrenz, auch mit Champagner.» Sie seien preislich attraktiv, mit einem Marktanteil von drei Prozent - rund 9 Millionen Liter bei einem gesamten Jahreskonsum von 290 Millionen Liter Sekt - aber noch ein Nischenprodukt.
Volker Raumland mag den Begriff nicht besonders: «Winzersekt klingt mir zu bäuerlich.» Er bevorzugt den Begriff der traditionellen Flaschengärung. Damit würde auch die Abgrenzung zu den großen Marken mit Tankgärung für Verbraucher deutlicher.
Bei der Henkell-Gruppe in Wiesbaden wird die Konkurrenz von Winzersekten positiv betrachtet, als «Aktivität, die die Wahrnehmung der Qualitätsanmutung der Gattung Sekt zusätzlich optimiert». Der Trend gehe zu Qualität, und die Verbraucher seien bereit, auch dafür zu zahlen, sagt der Sprecher der Henkell-Geschäftsführung, Andreas Brokemper. Die Henkell & Co. Sektkellerei KG, die in diesem Jahr mit der Übernahme des spanischen Herstellers Freixenet ihre internationale Expansion weiter geführt hat, setzt mit der Marke Menger-Krug ebenfalls auf Flaschengärung.
Im Unterschied zum Wein mit seiner vielfältigen Winzerszene sei Sekt ein stark markenorientiertes Produkt, erklärt Büscher und nennt neben Henkell als weitere große Anbieter Rotkäppchen/Mumm sowie Schloss Wachenheim in der Pfalz.
Erst seit Anfang der 1980er Jahre haben Winzer in größerem Stil angefangen, ihren eigenen Wein zu versekten. Er habe 1981 beim Studium in Geisenheim aus 100 Litern Wein den ersten Sekt gemacht, erinnert sich Raumland. Nach dem sehr mengenreichen Jahrgang 1982 hätten viele Winzer nach neuen Vermarktungsmöglichkeiten gesucht. Damals entstand in Rheinhessen auch die Erzeugergemeinschaft Winzersekt. Zu ihren Grundsätzen gehört: «Eine Herkunft. Eine Rebsorte. Ein Jahrgang.»
Inzwischen lösten sich viele Winzer von diesem Grundsatz, dass Sekt aus Weinen einer einzigen Rebsorte hergestellt werden sollte, sagt Büscher. Viele Riesling-Sekte seien stark säurebetont. Immer beliebter würden Cuvées aus Burgundersorten.
Bei der traditionellen Flaschengärung wird dem abgefüllten Grundwein eine spezielle Sekthefe zugefügt, die mit hinzugefügtem Zucker eine zweite Gärung auslöst. Mindestens neun Monate lang bleibt die Hefe in der Flasche, wird nach und nach in den Flaschenhals gerüttelt, dort eingefroren und «degorgiert»: Unter dem Druck der Kohlensäure schießt der feste Hefepropf heraus. Für ein Bar Druck müssen etwa vier Gramm Zucker vergoren werden. Sekt muss mindestens 3,5 Bar haben, mit 24 Gramm Zucker werden sprudelnde sechs Bar möglich.
Meist kann man schon am Preis erkennen, ob ein Sekt in der Flasche oder im Tank entstanden ist. «Für 2,99 Euro kann man keinen Flaschengärsekt produzieren», sagt Raumland, «da legt man mehrere Euro pro Flasche drauf.» Zumal von jeder Flasche 1,02 Euro als Sektsteuer an den Staat gehen. Für einen möglichst niedrigen Ladenpreis werden die Grundweine dieser Schaumweine meist günstig aus Spanien, Südfrankreich oder Italien bezogen.
Über alle Marken hinweg entfällt etwa ein Fünftel des Jahresabsatzes bei Henkell auf den Dezember - die Gruppe erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 702 Millionen Euro, bei der in diesem Jahr übernommenen Freixenet waren es 535 Millionen.
Mit anderen Kalkulationen arbeitet das Sekthaus Raumland. «Wir haben 850 000 Flaschen im Keller», sagt der Winzer. Schon seine einfachsten Sekte lässt er mindestens vier Jahre auf der Hefe reifen. Bei Spitzensekten sind es mehr als zehn Jahre. «Das ist gebundenes Kapital und kostet viel Platz.» Aber Geduld zahlt sich aus. Eine längere Hefelagerung gebe der Kohlensäure mehr Zeit, sich im Sekt zu binden, erklärt Büscher. Und einen guten Sekt erkenne man daran, dass er sehr lange im Glas perle. dpa
Sekthersteller registrieren zunehmende Nachfrage nach Crémant
Gastronomie und Fachhandel verzeichnen nach Einschätzung des Deutschen Weininstituts eine zunehmende Nachfrage nach Sekt der Gattung Crémant. «Wir stellen einen feinen, aber beständigen Trend zu Crémant fest», also hochwertigen Sekt in französischer Tradition, sagt auch der Sprecher der Henkell-Geschäftsführung in Wiesbaden, Andreas Brokemper. Crémant gelte als «hippe und bezahlbare Alternative zu Champagner, aber auch zu Prosecco und klassischem Sekt». Diese Schaumweingattung profitiere neben Prosecco Spumante vom «wachsenden Trend in Richtung Premium».
In der französischen Region Champagne wurden ursprünglich diejenigen Schaumweine als Crémant bezeichnet, die nach einer weniger intensiven Gärung nur einen Druck von 3,5 Bar statt des Champagner-Standards von 6 Bar erreichten. Seit 1994 bezeichnet Crémant in der EU hingegen einen Sekt mit Flaschengärung, der außerhalb der Champagne hergestellt wird.
Als «eigene Spielart innerhalb der qualitätsgeprüften Sekte» muss er nach Angaben des Deutschen Weininstituts eine Reihe von Qualitätsanforderungen erfüllen wie die Traubenlese von Hand, die Verwendung gebietstypischer Rebsorten und eine Mindestlagerzeit von neun Monaten auf der Hefe. Crémant muss immer mit einem bestimmten Anbaugebiet angegeben werden. Besonders bekannt sind der Crémant d'Alsace und der Crémant de Loire.
Sekt-Erzeuger stellen sich auf stärkere Wetterschwankungen ein
Nach einer eher schlechten Weinernte 2017 und dem trocken-heißen Sommer 2018 stellen sich Sekterzeuger in Deutschland auf verstärkte Wetterschwankungen ein. «Wir verkaufen ein landwirtschaftliches Produkt, man muss in langfristigen Strategien denken», sagte der Chef des deutschen Sektmarktführers Rotkäppchen-Mumm, Christof Queisser. Die Situation werde unberechenbarer. «Man muss krisenfest sein, um so etwas auszupuffern.»
Die Erzeugergemeinschaft Winzersekt erwartet nach der großen Erntemenge in diesem Jahr wieder eine deutliche Zunahme der Produktion. Im vergangenen Jahr sei die Verarbeitung geringer ausgefallen, da die Erträge der Weinlese 2017 sehr begrenzt gewesen seien, sagte der Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft, Dieter Schmahl. Der Umsatz in dem Ende August 2018 abgeschlossenen Geschäftsjahr lag bei rund sechs Millionen Euro. «In diesem Jahr wurde wieder ausreichend geerntet, da wird der Umsatz wieder steigen», sagte Schmahl.
Der Zusammenschluss von nahezu 1000 Winzern aus den Anbaugebieten Rheinhessen, Rheingau und Nahe erzeugt zu 90 Prozent Sekt in der traditionellen Flaschengärung. Hergestellt werden sowohl Sekte einzelner Weingüter als auch Gemeinschafts-Cuvées.
Der Betrieb mit rund 40 Mitarbeitern im rheinland-pfälzischen Sprendlingen stellt auch Perlweine her, bei denen dem Wein dezent Kohlensäure zugefügt wird. Perlwein habe in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen, sagt Schmahl. Dieser habe auch wie der Prosecco Frizzante mit seinem geringeren Flaschendruck bis maximal 2,5 Bar den Vorteil, nicht der Schaumweinsteuer zu unterliegen. dpa
Hintergrund: Restzucker bestimmt die Skala von brut nature bis mild
Die Geschmacksbezeichnungen für Sekt sind in der EU eindeutig festgelegt. Entscheidend ist dabei der Zuckergehalt je Liter. Die Restsüße macht sich bei Sekt auf dem Gaumen ganz anders bemerkbar als beim Wein: «Die Kohlensäure bewirkt, dass man die Süße bei Sekt nicht so stark wahrnimmt», erklärt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Die Bezeichnungen bedeuten im Einzelnen:
brut nature (naturherb): 0-3 Gramm Zuckergehalt je Liter; kein Zucker nach der zweiten Gärung zugesetzt
extra brut (extra herb): maximal 6 Gramm Zuckergehalt
brut (herb): maximal 12 Gramm Zuckergehalt
extra dry (extra trocken): 12 bis 17 Gramm Zuckergehalt
sec (trocken): 17 bis 32 Gramm Zuckergehalt
demi-sec (halbtrocken): 32 bis 50 Gramm Zuckergehalt
doux (mild): mehr als 50 Gramm Zuckergehalt.