Im Tomaten Paradies von Erich Stekovics

Von Christian Vollbracht

Im Reich der Tomatomania hat die Ernte in diesem Jahr einige Wochen früher begonnen. Tomaten und Chili-Früchte reifen mit dem Wein in Österreich am Neusiedler See um die Wette. Erich Stekovics steht neben seinen Gewächshäusern und strahlt wie die pralle Sonne.

«Meine Paradeiser haben einen höheren Zuckergehalt als Erdbeeren im Supermarkt.» Paradeiser heißt die Tomate in Teilen Österreichs - und keiner kennt sich damit so gut aus wie der 45 Jahre alte Burgenländer aus Frauenkirchen. Stekovics besitzt die Samen von 3200 Sorten Tomaten, die er in allen Teilen der Welt gesammelt hat.

Im Gewächshaus, wo das Saatgut gezogen wird, zeigt das Thermometer 42 Grad Celsius. Neben pfundschweren Riesenfrüchten hängen kleine gelbe Johannisbeertomaten, dazu gestreifte, geflämmte, lange und runde Sorten aller Farbschattierungen von grün und gelb bis rot und braun. Und eine schmeckt würziger als die andere.

Stekovics hatte Theologie studiert und mehr als vier Jahre als Religionslehrer gearbeitet, bevor er in die Landwirtschaft einstieg und den alten Betrieb seines Vaters übernahm. Spöttisch und skeptisch von den Nachbarn beobachtet, begann er vor zehn Jahren mit dem Tomatenanbau, unterstützt von der Arche Noah, einer Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturplanzenvielfalt. Jetzt bewahrt seine Tomaten-Arche viele ursprüngliche Arten, um sie vor der geschmacksarmen roten Zuchttomaten zu retten.

Ein Besuch beim Paradeiserkaiser bedeutet, vieles zu vergessen, was man über Tomaten zu wissen glaubt. Bei Stekovics wachsen nur die Tomaten zur Saatgewinnung hochgebunden im Gewächshaus, alle anderen im Freien. Dort wuchern sie auf Stroh am Boden, werden nie gewässert und nicht beschnitten.

«In den Gewächshäusern erntet man pro Quadratmeter 120 bis 150 Kilogramm, bei mir eines», sagt Stekovics. «Paradeiserpflanzen haben Flachwurzeln, aber auch eine Pfahlwurzel, die geht bis zu zwei Meter in die Tiefe, holt Wasser und Mineralien aus dem Boden.» Wie beim Wein bedeuten niedrige Erträge hohe Konzentration des Geschmacks. Das Klima im Burgenland mit 300 Sonnentagen ist ideal, der Wind hält Schädlinge fern.

Viele Sorten stammen aus Russland, Deutschland oder Italien. Eine ganz besondere rote kam von den Galapagos - die Samen keimen nur, wenn sie von einer Schildkröte ausgeschieden worden sind. Rund 1000 Sorten baut Stekovics jedes Jahr an. Daneben wachsen bei ihm auch 360 verschiedene Chilis von mild bis zu den höchsten Schärfegraden - diese machen mittlerweile 60 Prozent des Jahresumsatzes aus.

Bei Stekovics geht es nur um die Geschmacksqualität der Tomate, nicht ums Aussehen oder die Transportfähigkeit. Denn fast die gesamte Produktion wird getrocknet oder eingekocht, zu Sugo, Paradeisertartar oder -Chutney. Nur Besucher dürfen frische Ware mitnehmen. Die Vermarktung der frischen Tomaten, so rechnet Stekovics vor, wäre erst möglich, wenn der Kilopreis bei mehr als 18 Euro angekommen ist.

Fast täglich führt Stekovics Interessenten bei vierstündigen Führungen durch sein Reich. Wer Ende August nach Frauenkirchen kommt, darf vielleicht Paradeiser-Sturm kosten. Sturm heißt in Österreich der Jungwein. Stekovics lässt Tomatensaft wie Wein gären, um ihn dann weiter zu verarbeiten. Gerade besorgt er sich eine alte Weinpresse für seine Paradeiser. «Von den Winzern kann ich so viel lernen.»

«In Deutschland würde es das hier alles nicht geben», sagt Stekovics, «keine einzige Sorte wäre erlaubt». Denn seine Tomaten entsprechen keiner Sorten- oder Vermarktungsrichtlinie der EU. Nur mit einer gerade wieder für zehn Jahre erkämpften Ausnahmegenehmigung darf er den Betrieb weiterführen. «Die Agrarpolitik der EU läuft total verkehrt in Richtung einer industrialisierten Landwirtschaft», sagt Stekovics. «Und so geht die Sortenvielfalt verloren.» dpa

stekovics.at