Von Jonas-Erik Schmidt
An den Weinbau, wie ihn deutsche Heimatfilme oder auch gerne Gourmet-Reiseführer beschreiben, erinnert in Sedat Aktas' Räumlichkeiten eigentlich nur ein kleines Holzschild mit der Aufschrift "Wein aus deutschen Landen". Keine großen Porträtbilder von Winzern, die verträumt Trauben gegen die Sonne halten oder zärtlich ein dickes Fass streicheln. Stattdessen steht in dem Altbau ein großer Holztisch mit Stühlen, von denen keiner dem anderen gleicht. Wer die Cafés in den Szenevierteln von Berlin mag, fühlt sich gleich zu Hause. Aktas lebt aber in Mainz. Und um Weine geht es hier Tag für Tag - genau genommen um "Geile Weine".
So heißt das Startup, mit dem er als Geschäftsführer seit gut eineinhalb Jahren Wein verkauft. Die Firma schwimmt auf einer Welle mit, die seit einiger Zeit durch die Branche schwappt. In vielen Weingütern hat sich ein Generationswechsel vollzogen, der mit einer anderen Sprache und einer anderen Optik einhergeht. "Wir wollen Leute ansprechen, die den Zugang zu dem Produkt normalerweise nicht so haben", sagt Aktas. Die nicht wissen, was "Parker-Punkte" oder der Gault-Millau sind. Oder wie es Aktas - Jahrgang 1977, Vollbart und Hornbrille - ausdrückt: "What the fuck is Gault-Millau?" (Was zum Teufel ist Gault-Millau?).
Zu haben ist heutzutage etwa "Dreck und Speck", ein Weißwein, der vor der Gärung nicht vorgeklärt wurde. Oder der "Blutsbruder" vom Weingut Karl May aus Rheinhessen, das mit dem Tropfen an die Indianer-Schmöker des gleichnamigen Schriftstellers erinnert. Mit dem "Pornfelder" aus der Pfalz, einer Komposition aus Portugieser (Por-) und Dornfelder (-nfelder), wurde der junge Winzer Lukas Krauß zu einer Art Rockstar der Szene.
Der traditionsbewusste Weintrinker fragt an dieser Stelle: Muss das sein? "Der erste Kontakt ist ein visueller", sagt Aktas. Danach komme der Geruch und am Ende der Geschmack. Optik und keckes Gehabe allein reichten natürlich nicht aus. Am Ende müsse alles zusammenpassen. Es gebe aber schon einen gewissen Zusammenhang zwischen Aussehen und Verkauf. Die "Geilen Weine"-Kunden seien zu 90 Prozent zwischen 20 und 45 Jahre alt.
Beim Wein vollzieht sich eine Entwicklung, die beispielsweise auch bei Gin oder dem sogenannten Craft Beer zu beobachten ist: Lebensmittel werden Gegenstand der jungen Kultur. Individualität ist das Stichwort. Nur dass es in der manchmal auf Honorigkeit bedachten Weinbranche besonders schrill wirkt. Sprüche wie "If you are racist, a terrorist, or just an asshole, don't drink my Sauvignon Blanc" ("Wenn Sie rassistisch, ein Terrorist, oder einfach nur ein Arschloch sind, trinken Sie nicht meinen Sauvignon Blanc", Pfälzer Weingut Emil Bauer & Söhne) auf der Flasche polarisieren auch.
"Ich sehe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einem lachenden, weil sich so viele um einen frischeren Auftritt bemühen, was gut ist", sagt Robert Göbel, Professor an der Hochschule Geisenheim für strategisches Management und Beratung. Auf der anderen Seite bleibe dabei oft auch Authentizität auf der Strecke. "Das ist wie ein lautes Feuerwerk, das abbrennt", sagt er. "Die permanente Neuerfindung geht zulasten der Glaubhaftigkeit und kostet Geld."
Andi Weigand hat den Stilwechsel trotzdem gewagt. Der 24 Jahre alte Franke krempelt seit einem Jahr das elterliche Weingut in Iphofen (Unterfranken) um und verkauft nun Wein wie "Der Wilde", "Der Held" und "Der Franke". "Ich mache das, weil ich denke, dass der Wein genau so ist", sagt Weigand, der sich selbst als "ein bisschen freakig" bezeichnet und Elektro-Musik mag. Wein sei weder kompliziert noch altbacken. Natürlich sei zu Hause erst mal Überzeugungsarbeit notwendig gewesen. Jetzt ziehe aber auch der Papa mit. dpa