Von Peter Zschunke
Die ersten Trauben sind gelesen, die Federweißer-Saison ist eröffnet. Aber was der Weinjahrgang 2022 nach einem heißen und trockenen Sommer ins Fass bringt, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen. «Die Situation in den Weinbergen ist sehr heterogen», sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. «Die älteren Anlagen stehen relativ gut da, die jüngeren Anlagen müssen entlastet werden.»
An der Nahe macht dies Winzer Martin Tesch, indem er bei seinen zwei, drei und vier Jahre alten Reben fast alle Trauben abschneidet. «Damit nimmt man das Gewicht von den Schultern» erklärt er. Denn die Entwicklung der Trauben mit den Samenkernen ist das Ziel der Photosynthese in den Blättern, die auf eine ausreichende Wasserversorgung angewiesen ist. Bei den jüngeren Reben sieht Tesch: «Die Pflanze zeigt, dass sie leidet.» Wenn der Trockenstress nicht ganz so groß ist, lässt er zwei oder drei Trauben an der Rebe hängen.
«Alle hoffen auf Regen», sagt Büscher. Die den Zuckergehalt der Trauben anzeigenden Mostgewichte seien zwar schon meist fortgeschritten. Bei extremer Trockenheit werde die Rebe aber zu einer Art Sparprogramm genötigt.
«Die Trauben sind teilweise noch sehr kleinbeerig», stellt Winzer Mathias Wolf im rheinhessischen Lörzweiler fest. Und er sorgt sich um die für frische Weißweine benötigte Säure, wenn die Nächte weiter so warm bleiben. Kühlere Nächte sind wichtig, weil dann die Fruchtsäure der Beeren und das besondere von Boden und Lage eines Weinbergs mitgeprägte Aroma besser erhalten bleiben.
«Die warmen Nächte führen dazu, dass die Säure schneller abgebaut wird», erklärt der Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Weinbiet Manufaktur in Neustadt an der Weinstraße, Bastian Klohr. Das werde auch zu einer Veränderung der Weinstile führen. «2021 hatten wir nochmal einen klassischen Cool-Climate-Jahrgang - der 2022er wird in Richtung der Jahrgänge von 2018 bis 2020 gehen.»
Auch das vorzeitige Rausschneiden von Trauben könne schwierig sein, wenn das Ziel ein frischer, eleganter Weißwein sei, erklärt Klohr. Bei diesen Rebanlagen mit bewusst niedrigeren Erträgen gebe es eine schnellere Reife mit einem sprunghaften Anstieg der Zuckereinlagerung in den Beeren. «Es ist immer ein schmaler Grad, wie man als Winzer handelt.»
Rotweine haben 2022 allerdings eine ganz andere Perspektive. «Merlot und Cabernet Sauvignon können jetzt zulegen an Qualität», sagt Klohr zu den in der Pfalz schon seit mehr als 20 Jahren angepflanzten Rotweinsorten. «Sie werden jetzt kräftiger in der Reife, so dass sie durch die Bank internationale Formate haben.»
Für Nahe-Winzer Tesch sind die nächsten drei oder vier Wochen entscheidend. Er hofft auf eine ähnliche «pain release», eine Schmerzbefreiung, wie 2018, als nach dem heißen Sommer dann doch noch der Regen kam. Der auf trockene Riesling-Weine spezialisierte Winzer erwartet, dass die Lese in seinen Lagen bei Langenlonsheim Mitte September beginnen wird.
Die Trockenheit hat aber auch Vorteile. Anders als im vergangenen Jahr konnten sich kaum Pilzkrankheiten entwickeln. Und auch die feuchtigkeitsliebende Kirschessigfliege hielt sich fern von den Weinbergen. Büscher blickt optimistisch auf den Herbst: «Die Erwartungen sind positiv, dass der 22er Jahrgang ein guter wird.» dpa