Von Rose Marie Donhauser
Genuss kann individuell vieles heißen. Eigentlich fängt es schon bei der Erwartung an, sich darauf einlassen zu können, dem Staunen und idealerweise Neues mit nach Hause zu nehmen.
Also Vorhang auf: Für 28 Gäste ist Platz auf den bequemen hohen Holzstühlen - teils mit Schaffell drapiert.
Wir starten mit einem Gläschen Cremant Indigene, der hefig und cremig jedem Champagner Konkurrenz bietet. Dazu gleichwohl die Anleitung, den Müritz Aal mit Sprossen sowie den krokantig gebackenen Topinambur und Joghurt mit den Fingern zu essen. Es gibt ein 10-Gang-Menü inklusive gefiltertem Leitungswasser für 80 Euro. Also pro Gang 8 Euro, was kann man dafür bieten?
Ja genau, es wird jedes regionale Produkt in den Mittelpunkt gesetzt und im Endeffekt ist der Preis sogar zu günstig. Küchenchef Micha Schäfer stellt ein Einmachglas vor uns hin, mit der Aufforderung wir sollen daran riechen und führt dabei aus, dass der Johannisbeerstrauch dem Rapsöl sein Aroma abgibt. Dieses wird mit Maränenkaviar vermischt und leuchtet orange auf dem halben kredenzten Chicoree, dem mit einer Petersilienemulsion zusätzlich ein Frischecharakter verpasst wird.
Die Frage, was es im Winter regional auf den Teller schafft, ist sicherlich eine Kombination aus guter Vorratshaltung, fermentiert und eingeweckt, aber auch einem sehr guten Draht zu den Lieferanten, die das Frischeste von Allem, von Brot über Gemüse bis Salat, täglich bringen.
Der konzentrierte Grünkohlsaft war zum Löffeln gut und die zart saftig schmeckende Müritzforelle scheint am selben Tag geangelt worden zu sein. Die Musik von Nirwana ist angenehm laut, so dass keine Gespräche von Tresen-Nachbarn zu vernehmen sind, der Blick schweift zum Eingang der hinteren Küche sowie dem Spülbereich. Das Bronze-Kunstwerk "Mops, einstmals freiatmend" - hängt fast bedrohlich und doch amüsant über Allem - mit Pfeil in der Brust.
Die offene Küche ist für das Anrichten auf den handgefertigten Keramiktellern sowie das Warmhalten einzelner Zutaten eher Show, gekocht mit viel Dampf wird angenehmerweise im hinteren Bereich. Eine Suppenschale mit rohen gehobelten Kartoffeln, wird mit etwas zu süßlicher, kochend heißer Zwiebelsuppe (brühe) aufgegossen und soll den Kartoffeln den Gar-Kick geben. Woh - hat es. Dazu schmeckt "brutal lokales" Craftbeer aus der Mikrobrauerei in der Markthalle 9 - ein Fläschchen für Euro 8,50.
Mein Favorit war der Rosenkohl mit eingelegten Löwenzahnknospen, überzogen mit dunklen Butterbröseln und mit kräftiger Lammbrühe aufgegossen, wovon Küchenchef Schäfer sagt, dass diese ausschließlich aus Fleisch und Salz bestünde. Geschmeckt habe ich das intensiv ausgekochte Fleisch, wie schon seit langem nicht mehr. Das pure Schmecken, den Gaumen auf das Wesentliche zu konzentrieren, back to the roots - das Land, die Umgebung schmecken - das war für mich ehrliches, großes Theater.
Doch eines hat mich amüsiert, Gewürze wie Pfeffer, Nelke, Piment und Majoran gibt's nur in der Handseife "Roter Preßsack" im Toilettenbereich. Die Küche im Nobelhart & Schmutzig verwendet kein Olivenöl, keine Schokolade, keine Zitrone, keinen Pfeffer und keine exotischen Gewürze.
Apropos Würze - hier gibt's nur Filterkaffee, der angenehm würzig, eher durchsichtig braun schimmert, aber nicht fad schmeckt. Dazu werden in fast 4 Minuten, 23 g frisch gemahlene Kaffeebohnen durch den Portionsfilter in eine Glaskanne mit 400 ml Wasser aufgebrüht. Mittels einer Waage wird pro Brühvorgang jeweils 100 ml Wasser nachgegossen und dabei mit einem Holzlöffel gerührt, bis zum nächsten Nachgießen. Ich gucke in mein Butterbrot-Tütchen, worin ein Nussgebäck mit Berberitzen "für daheim" verpackt ist. Ach was, das passt gut zum neu entdeckten Filterkaffee. (Fotos: Marko Seifert)
Speiselokal Nobelhart & Schmutzig, Friedrichstraße 218, 10969 Berlin - Kreuzberg, Tel.: +49 30 259 4061 - 0, dubist@nobelhartundschmutzig.com, nobelhartundschmutzig.com/
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