Von Eva Krafczyk
Wenn es um die Erfolgschancen des eigenen Teams geht, blicken die meisten Polen der Fußballeuropameisterschaft mit einer großen Portion Skepsis entgegen. «Machen wir uns nichts vor», sagt der Warschauer Student Andrzej, «wir sind dabei, weil wir Gastgeber sind. Wenn wir nicht gleich in der ersten Runde rausfliegen, ist das schon ein Erfolg.»
Doch als EM-Gastgeber wollen die Polen erstklassig sein und aus den bis zu einer Million erwarteten Fußballfans auch Polen-Fans machen. Doch das Land im Herzen Europas wird für viele der Besucher Neuland sein. Darauf hat sich auch die polnische Tourismusindustrie eingestellt. Das Fußballfest soll zum Kennenlernen des Gastgeberlandes beitragen, das zusammen mit der Ukraine die EM ausrichtet.
«Gast im Haus, Gott im Haus», heißt es in einem polnischen Sprichwort, und zur EM soll Gastfreundschaft besonders groß geschrieben werden. Polizisten werden mit Englischkursen fit für den Umgang mit ratsuchenden Fans gemacht, auch bei den Freiwilligen der UEFA und der Gastgeberstädte sind Sprachkenntnisse gefragt. Englisch war für alle Bewerber Voraussetzung. «Aber auch viele EM-Freiwillige mit Deutsch- oder Spanischkenntnissen haben sich beworben», sagt Maciej Topolski, Sprecher des Organisationskomitees.
Die Reiseplanung der Fans wird mit virtuellem Reiseführer erleichtert. Der Polishpass verbindet Hotelbuchung, Transport und Versicherung, auch der öffentliche Nahverkehr darf kostenlos genutzt werden. Das Rundumpaket wird individuell an die Bedürfnisse der Besucher angepasst. Infos zu Land und Leuten, Sehenswürdigkeiten und Events gibt der Polishguide, der in mehreren Sprachen im Internet zugänglich ist und ab März auch als Applikation für das Smartphone bereitstehen soll.
Die Flughäfen der polnischen EM-Gastgeberstädte wurden für die EM ausgebaut, und eigentlich sollten auch die Bahnhöfe, Gleisanlagen und Fernstraßen rechtzeitig für das Großereignis modernisiert und erweitert werden. Allerdings zeichnet sich schon jetzt ab, dass vieles nicht fertig werden wird - etwa die Autobahnverbindung vom südpolnischen Krakau Richtung ukrainische Grenze.
Auch wer kurzentschlossen von Berlin nach Warschau fährt, hat nur bis Posen eine Autobahn, die den ehrgeizigen Plänen entspricht. Danach droht noch so manche Baustelle. «Das ist vielleicht autobahnähnlich, aber keine Autobahn», mäkelte ein Zeitungskommentator kürzlich über den Stand der polnischen Infrastrukturprojekte.
Die geplante Bahnverbindung zwischen dem Warschauer Flughafen und der Innenstadt wird es ebenfalls nicht geben, und auch der U-Bahnbau in der polnischen Hauptstadt hinkt noch kräftig hinter dem Zeitplan hinterher. Die anhaltende Kälte im Februar hat die Arbeiten noch weiter zurückgeworfen. Immerhin, die neue U-Bahnhaltestelle am Warschauer Nationalstadion sieht schon vielversprechend aus. Doch ob bis zur EM tatsächlich die Metro die Stadionstation anfahren kann, bleibt abzuwarten.
Nur beschränkt einsatzbereit dürfte der ehemalige Flughafen Modlin sein, der künftig vor allem Billigfluglinien als Ziel dienen soll. Zur EM werden dort die Privatflugzeuge von betuchten Fans etwa aus Russland erwartet.
Kein sportliches Großereignis ohne Fanzonen - das gilt auch für die EM. In Warschau wird auf dem Plac Defilad die größte Fanzone des Landes entstehen. Wo einst die Mitglieder des Politbüros vom benachbarten Kulturpalast Maiparaden abnahmen, wird im Juni Fußball gefeiert. Der Hauptbahnhof ist nur wenige hundert Meter entfernt, die Straßenbahn- und Bushaltestellen mit Verbindungen zum fünf Minuten Fahrzeit entfernten Stadion befinden sich gleich neben dem Platz. Nur die unterirdische Ladenpassage mit ihrem Tunnelgeflecht dürfte für Ortsfremde erst einmal eine Herausforderung sein.
Die größten Plätze stehen auch in den übrigen Gastgeberstädten für die Fans bereit - in Danzig (Gdansk) wird sich die Fanzone um den Langen Markt und den Neptunbrunnen konzentrieren, in Breslau (Wroclaw) auf dem von zahlreichen Kneipen und Restaurants umgebenen Marktplatz, in Posen (Poznan) auf dem Freiheitsplatz. Zwischen 30 000 und 100 000 Menschen werden in den offiziellen Fanbereichen Platz finden.
Eine Fanzone wird es auch auf dem Krakauer Marktplatz geben. Die Polen hatten vergeblich gehofft, mehr als vier Gastgeberstädte für die EM durchsetzen zu können. Die alte südpolnische Königsstadt, eines der beliebtesten Ziele in- und ausländischer Touristen, setzt aber trotzdem auf anreisende Fußballfans, die etwa ihrer Mannschaft nahe sein wollen: Immerhin schlagen mit den Engländern, Niederländern und Italienern gleich drei Teams ihr EM-Quartier in Krakau auf.
In den vier polnischen Austragungsorten stehen 400 000 Übernachtungsplätze zur Verfügung. Damit ist laut Jan Wawrzyniak, Direktor des Polnischen Fremdenverkehrsamtes in Berlin, die Zahl der Betten im Vergleich zum Jahr 2006 um 40 Prozent gestiegen. Neben Hotelzimmern gibt es Fancamps mit bis zu 5000 Übernachtungsplätzen wie in Warschau. Während in den Fancamps schon für 25 Euro eine Übernachtungsmöglichkeit zu bekommen ist, haben viele Hotels ihre Preise für die EM deutlich erhöht.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass auch hungrige und durstige Besucher zur EM tiefer in die Tasche greifen müssen als üblich. «Wir erwarten einen Anstieg der Preise von 15 Prozent», sagte Jan Kosciuszko, Besitzer einer Restaurantkette, in einem Zeitungsinterview.
Angesichts des erwarteten Andrangs durstiger Iren und Tschechen in den Fanzonen in Polen dürfte vor allem das Bier teurer werden: «Die Preise gehen etwa 20 Prozent nach oben», schätzte Kosciuszko. dpa
Interview zum EM-Tourismus in Polen