Nach prägenden Stationen zu Beginn seiner Laufbahn, darunter beim berühmten Gaston Lenôtre in Paris, Spitzenkoch Jean-Yves Schillinger in Colmar sowie im Restaurant "Schwarzer Adler" bei Franz Keller, übernahm Lingelser die Verantwortung für die Patisserie der Traube Tonbach. Im Laufe der Jahre wurde der gebürtige Straßburger nicht nur für seine französischen Spezialitäten und filigranen Desserts der dreifach besternten Schwarzwaldstube gefeiert. "Unsere Gäste schätzen auch sein Händchen für Klassiker der deutschen Konditorkunst", bestätigt Hotelier Heiner Finkbeiner. So gilt der alljährliche Christstollen der Traube Tonbach nach Lingelsers Originalrezept als bester Deutschlands. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte das traditionelle Weihnachtsgebäck des Elsässers 2013 ausgezeichnet.
Als Lehrmeister vieler junger Patissiers avancierte Pierre Lingelser indes zum Vorbild der Branche. "Als Veteran meiner Zunft sehe ich rückblickend vor allem die enorme Entwicklung, welche die Patisserie in den vergangenen 20 Jahren durchlebt hat: Von einer einst kleinen Ecke nahe des Gardemangers bis heute, wo die Patisserie wie bei uns einen eigenen, voll ausgestatteten Bereich für sich hat. Ähnlich verhält es sich glücklicherweise mit den Akteuren und ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit", erklärt der 57-jährige. "Ein guter Patissier ist heutzutage als Fachmann gefragt und unverzichtbar im Küchenkader jedes gehobenen Restaurants." Nach zweifacher Auszeichnung als "Patissier des Jahres" 2004 und 2009, wurde er 2017 auf der Ernährungsmesse "Anuga" für sein Lebenswerk als Patissier-Ikone geehrt. "Sein Engagement für den Nachwuchs und seine außergewöhnlichen Desserts bleiben eine Bereicherung für die kulinarische Landschaft", hieß es in der Begründung der Jury.
So sieht es auch Torsten Michel, Küchenchef der Schwarzwaldstube, der seinen langjährigen Kollegen nicht nur für dessen Kreativität und Qualitätsanspruch dankt: "Pierre ist ein Künstler, sein Feinsinn für klassische Patisserie absolut vorbildlich. Obwohl wir 14 Jahre quasi Seite an Seite im Team der Schwarzwaldstube unseren Aufgaben nachgegangen sind, schätze ich ihn persönlich vor allem für die letzten zwei Jahre. In meiner ersten Zeit als Küchenchef war Pierre mir eine besondere Unterstützung."
Durch Lingelsers 10-köpfiges Team entstehen täglich unzählige süße Petitessen, Kuchen und Desserts für die gesamte Gastronomie des Fünf-Sterne-Hotels. Egal ob für opulente Torten, Gebäck oder Pralinen - beste Rohprodukte und aufwändige Handarbeit nach französischem Vorbild sind für den Meisterpatissier tonangebend. Viele saisonale Zutaten wie Walderdbeeren, Holunder oder Heidelbeeren lässt das Team im Schwarzwald sammeln. Die typischen Aromen seiner zweiten Heimat inspirierten ihn auch zu Neuinterpretationen bekannter Süßspeisen wie der geräucherten Dessertvariante einer Schwarzwälder Kirschtorte. "Neben Sauerkirschen und Kirschwasser von einer regionalen Brennerei geben geräucherter Schinkenspeck und Tannenharzhonig dem Gericht herzhafte Noten. Wie ein Waldspaziergang", beschreibt Lingelser seine eigene Kreation.
"1996 holten wir einen aufstrebenden, 36-jährigen Patissier mit großem Talent zu uns in die Traube Tonbach", erinnert sich Heiner Finkbeiner, Gastgeber des Baiersbronner Traditionshotels, anlässlich der bevorstehenden Verabschiedung im Dezember. "Ende des Jahres verlässt Pierre Lingelser das Tonbachtal als Freund, Vorbild für den Nachwuchs und einer der Besten seiner Zunft. Wir freuen uns mit ihm und wünschen von Herzen alles Gute für seine neuen Pläne. Bon chance, Pierre!"