Schloss Rattey Mecklenburger Gesamtkunstwerk

In Sachen Wein Richtung Strasburg abzubiegen, klingt zunächst nicht weiter ungewöhnlich - es sei denn, man ist nicht im Elsass unterwegs, sondern auf der A 20 zwischen Prenzlau und Neubrandenburg. Die gleichnamige Ausfahrt 34 führt uns geradewegs in Richtung Schloss Rattey und somit ins Zentrum des nördlichsten deutschen Weinbaugebietes.

Auch wenn Suchmaschinen beharrlich das Gegenteil behaupten, handelt es sich dabei nicht etwa um Saale-Unstrut, sondern das Stargarder Land. Seit 2004 ist es offizielles „Landweingebiet“ laut deutschem Weinrecht und trägt das europäische Qualitätssiegel g.g.A. (geschützte geografische Angabe). Neben Rattey gehören zu dieser historischen Region Pasenow und vor allem Burg Stargard als Keimzelle des Mecklenburger Weinbaus. Von 1508 bis 1920 wurde dort ohne Unterbrechung Wein angebaut. Neben den beiden kleinen Rebflächen an der Burg und am Teufelsbruch ist im Marstall der Burg außerdem ein sehenswertes Weinmuseum untergebracht.

Herrensitz in den Brohmer Bergen

Wir fahren durch die frühlingshafte mecklenburgische Flur mit ihren unendlichen Weiten und sanften Hügellandschaften, die so gar nicht an klassische Weinbaugebiete erinnern. Kurz vor Schönbeck taucht wie Phoenix aus der Asche das neoklassizistische Schloss Rattey auf, versteckt in der unberührten Natur dieses recht unbekannten Fleckchen Mecklenburgs. Brohmer Berge heißt der in der Eiszeit entstandene Höhenzug. Hier errichtete der Adlige Hans Christoph von Oertzen von 1802-06 das Schloss, einen herrschaftlichen Park und eine pittoreske Teichanlage. Neben dem Schlossgut liegt die im späten 13. Jahrhundert im typischen Feldstein-Stil erbaute Dorfkirche: Was für ein beschauliches Ensemble, das uns die Großstadt augenblicklich vergessen und in eine neue Welt eintauchen lässt.

Norddeutschlands größtes Weingut

Das Schloss ist gleichzeitig Namensgeber des seit nunmehr 25 Jahren bestehenden Weingutes. Den Anfang nahm der Weinbau 1999 mit einem kleinen Winzerverein aus unbeirrbaren Weinpionier:innen, die sich nicht von starren Gesetzen abschrecken ließen und 2004 die Erlaubnis für immerhin knapp 5 Hektar Rebfläche erhielten - das aber auch nur, weil das Land Rheinland-Pfalz dafür die Anbaurechte abgetreten hatte.

2019 hat die Inselmühle Usedom, die mit Naturmanufaktur und Café an der Einfahrtstraße zur Insel zu den Must-Stops für Genießer:innen zählt, Schloss Rattey übernommen. Seitdem geht es unaufhaltsam aufwärts: Die Anbaufläche ist auf 35 Hektar gewachsen, die 80.000 Liter-Marke geknackt und das anfängliche Spotten über die „Spaßwinzer aus dem Norden“ verstummt: Norddeutschlands größtes Weingut steht für sich.

Mecklenburgs Weinpioniere

Von Anfang an gehörte Stefan Schmidt als Weinpionier des Nordens zu den treibenden Kräften auf Schloss Rattey. Der gebürtige Magdeburger studierte Weinbau und Önologie in Bulgarien, baute in Neubrandenburg eine Weinkellerei mit auf, begleitet seit 2000 den Weinbau in Burg Stargard und Rattey und bestückte das Weinmuseum auf Burg Stargard mit Exponaten aus der Privatsammlung. Seit 2011 leitet er das Weingut Schloß Rattey, wo er sich seit jeher auf die Qualität der hochwertigen Landweine, Sekte und Brände aus den örtlich angepflanzten Trauben konzentriert hat. Leicht war das nicht: „Wir mussten in den Anfangsjahren viel Lehrgeld zahlen. Es gab keine Blaupause, und Ratschläge von Weinbauexperten waren ja auch nicht aus der Erfahrung geboren“ erinnert sich Schmidt.

Gezielte Sortenauswahl

Von den damaligen Rebsorten blieben nur der weiße Phoenix und der Regent übrig, später kamen vor allem PIWI-Neuzüchtungen wie die weißen Trauben Solaris, Souvignier Gris, Johanniter und Muscaris sowie Monarch, Cabernet Cortis und Rondo hinzu. Schließlich bringt das (noch) kühlere Mecklenburger Klima besondere Anforderungen mit sich. Die etwas kürzere Vegetationsperiode etwa wird durch gezielte Sortenwahl früher und frostharter (PIWI)-Sorten sowie die meist sichere Sommerwitterung ausgeglichen. Die Rebanlagen stehen überwiegend auf sonnenzugewandten flachen und mittleren Hanglagen mit dem Weinbau zuträglichen Mikroklimata und dem Wechsel von warmer und kühler Witterung in der Reifephase.

„Schlussendlich stellte sich in den 2010er Jahren heraus, dass bei guter Sortenauswahl auch in nördlichen Gefilden qualitativ hochwertige Weine gekeltert werden können. Sonnenschein haben wir hier im hohen Norden Deutschlands mehr als genug. Ich sage immer, die eine Stunde Sonnenscheindauer täglich, die wir im Sommer mehr haben als z.B. im Breisgau, sind der Ausgleich für die fehlenden Steillagen“ sagt Stefan Schmidt. Die vielen großflächigen, mit Tonmineralien durchsetzten Lehmadern und -schichten speichern das Wasser, so dass eine Bewässerung auch in trockenen Sommern entfällt.

Weinkeller mit allen Finessen

Auch haben sie einen positiven Effekt auf den Geschmack der Weine - besonders zeigt sich das laut Schmidt bei Weißweinen wie dem Johanniter, Riesling, Phoenix oder Donauriesling. Produziert werden die Weine im hochmodernden Weinkeller mit allen technischen Finessen direkt am Schloss, in dem neben großen Stahltanks auch Halbstück- und Barrique-Fässer liegen. Stefan Schmidt ist sichtlich stolz auf die große Vielfalt im Keller, zu der neben klassischen trockenen und restsüßen Weiß-, Rosé und Rotweinen auch Sekte, Pet Nats, Orange Wine, Spirituosen, Verjus und Traubensaft gehören. Kürzlich ist sogar eine Entalkoholisierungsanlage dazu gekommen - Schloss Rattey lässt keinen Trend aus.

Zahlreiche Auszeichnungen

Während in den Anfangsjahren schon mal abfällig von „Essig“ gesprochen wurde, ist seit vielen Jahren klar, dass der Mecklenburger Landwein qualitativ und preislich mit der nationalen und internationalen Konkurrenz mithalten kann. Erstmalig nahm Schloss Rattey 2017 mit fünf Weinen beim Internationalen PIWI Weinpreis teil und gewann 3 Gold- und 2 Silbermedaillen für die Phoenix-, Solaris- und Regentweine. In den letzten Jahren kamen mehr als 50 Gold-, Silber- und Bronze-Medaillen hinzu.

Der Falstaff Wein Guide zeichnete das Weingut mit einem Stern aus, viele Weine erzielten über 90 Punkte und der Spitzenreiter, ein 2021er trockener Solaris, sogar 92 Punkte. Inzwischen sind die Weine so nachgefragt, dass sie nicht nur im eigenen Hotel, der Vinothek, dem Onlineshop und dem Hofladen der Inselmühle Usedom, sondern auch in ausgewählten Hotels, Restaurants und bei Händler:innen der Region erhältlich sind.

Naturtrübe Craftbiere

Im letzten August konnte nach einer Millioneninvestition der neue Braukeller in Betrieb genommen werden. Der aus der ostfriesischen Bier-Hochburg Jever stammende Braumeister Mario Eschenberger stieß nach Stationen in Italien und bei BRLO in Berlin zum Team von Schloss Rattey. Er zeigt uns die blitzblanke, hochmoderne Brauerei, in der unter dem Label Brohmer Landbräu unfiltrierte, naturtrübe Craftbiere wie Pils, Dunkel und Weizen gebraut werden. Sie vergären offen, haben viel Zeit zum Reifen und bekommen durch Malze aus Mecklenburg und Franken sowie Aromahopfen aus der Elbe-Saale-Region und Hallertau Aroma und Körper. Die Biere haben es in sich: Eigentlich keine Bierliebhaberin, weckt der zum Einstieg probierte Maibock meine norddeutschen Gene und schmeckt mir mit seiner feinen, hopfenbetonten Würze, gut balancierter Süße und floralen Noten ausgezeichnet. Wie beim Wein fällt in der Brauerei der Mut zum Experiment auf: Selbst belgisch anmutendes Fruchtbier mit eigenen Aprikosen von der Inselmühle Usedom zählt zum Angebot.

Aus seiner Zeit in der Toskana hat Eschenberger sogar die Idee für ein IGT (Italian Grape Ale) mitgebracht. Der Hype darauf ist aktuell groß und Rattey wäre für den Wein-Bier-Hybriden geradezu prädestiniert: Hier gibt es immer Raum für Innovation.

Regionale Küche mit Ausblick

Zum Abendessen genießen wir den herrlichen Blick auf den Park und schauen zu, wie die Sonne langsam über Schloss Rattey untergeht. Selbst ein Champagner könnte nicht besser zu diesem zauberhaften Moment passen als die 2020 Grande Cuvée Brut, die 36 Monate im Hefelager ruhte und in traditioneller Flaschengärung reifte. Küchenchef Christian Hickisch (vorher Restaurant Au Lac im Hotel Seehof Berlin) serviert dazu eine weiße Tomatensuppe, deren perfekte Süß-Säure-Aromatik von dezent würzigen Basilikumnocken ergänzt wird. Gekocht wird weitestgehend mit Produkten der Inselmühle Usedom, dem Wildtierland Klepelshagen oder Erzeugnissen aus eigenem Anbau. Die Weine stammen selbstredend ausschließlich von Schloss Rattey - auf europäischen Mainstream oder Prestige-Etiketten wurde bewusst verzichtet.

Feine regionale Küche

Die liebevoll altmodische Präsentation von Hickisch‘ Kartoffelrösti mit Lachs und „Salatbouquet“ tut Handwerk und Geschmack keinen Abbruch. Dazu hat Hoteldirektor und Gastgeber Enrico Richter den Neunundneunzig Cuvée 2022 halbtrocken gewählt. Die blumig-duftige Cuvée aus Blütenmuskateller, Phoenix und Solaris stammt aus den ersten, 1999 auf Schloss Rattey gepflanzten Reben. Während sie für unseren Geschmack etwas zu süß und weniger vielschichtig als etwa feinherbe Rieslinge von der Mosel daher kommt, ist sie sowohl bei den Gästen als auch bei der Belegschaft der Renner und wie die meisten Rattey-Weine im Online-Shop komplett ausverkauft. Wir bevorzugen den Souvignier Gris, der fantastisch zum Zander mit Wurzelgemüse und einer feinen, leichten Soße passt. Das PIWI-Pendant zum Grauburgunder funktioniert aber nicht nur als dankbarer Essensbegleiter, sondern passt auch solo zum Aperitif. Zum Hirsch erfreuen wir uns am intensiv fruchtigen, aber doch schlanken 2022 Regent trocken, der mit seidigen Tanninen und einem saftigen Abgang im Gedächtnis bleibt. Dieser Rotwein liegt mit seiner kühlen, leichten Stilistik im Trend und hat deutliches Zukunftspotenzial.

Stylische Hotelzimmer

Wie gut, nach einem solchen Abend nicht zurück in die Großstadt fahren zu müssen, sondern sich ganz entspannt in eine der wunderbaren Suiten zu betten. Die Rostocker Interior Designerin Wencke Burzlaff hat die Zimmer individuell mit Möbeln und Lampen gestaltet, die sie in Belgien findet oder auf Bali individuell fertigen lässt. Jeder Raum ist anders, darunter sind etwa eine kolonial und eher maskulin anmutende Junior-Suite mit offener Badewanne, Tierfellen und Ledermöbeln oder gegenüber ein intimerer Raum mit Parkblick und eigenem Ankleidezimmer. Selbst die ehemaligen, etwas kleineren Gesindezimmer im zweiten Obergeschoss sind wunderschön gestaltet, immer unter Beibehaltung der historischen Architektur: So ist ein kleines, feines Landhaus mit der Anmutung eines Boutiquehotels entstanden, das Vergangenheit und Moderne zu einer ganz eigenen Stilsynthese vereint. Wer morgens in vollendeter Stille erwacht, kann sich auf ein Frühstücksbüffet mit Produkten der Inselmühle Usedom, Traubensäften von Schloss Rattey und Mecklenburger Spezialitäten freuen.

Neues Gästehaus mit 36 Zimmern

Ganz neu sind der stylisch in Lehmputz und warmen Beigetönen gestaltete Spa und die Terrassenlounge, die gerne für die Hochzeiten und andere Events genutzt wird - der Aperol Spritz kommt auch bei Events selbstredend nicht mit Prosecco, sondern Secco Blanc – wer Schloss Rattey bucht, trinkt auch Rattey-Wein. Noch besser können Gäste feiern, wenn demnächst der Anbau am historischen Pferdestall fertig ist: Dann kommen zu den 15 Zimmern im Haupthaus 36 Hotelzimmer mit Balkon und Blick auf den Weinberg dazu. Vier davon sind großzügige Eckdoppelzimmer mit Kühlschrank, Wasserkocher, Kaffeemaschine und teilweise sogar einer Sauna. Sie eignen sich perfekt für Reisende, die sich selbst verpflegen und auf eigene Faust die herrliche Kulturlandschaft Brohmer Berge erkunden möchten.

Es bleibt spannend auf Schloss Rattey. Das Team denkt groß und schnell, und ständig kommen Mosaiksteine zum großen Gesamtkunstwerk hinzu. Es wird nicht lange dauern, bis die ersten Berliner Hipster den Neuköllner Mikrokosmos für diese kleine Flucht verlassen, um bei radikal regionalem Orange Wine und demnächst vielleicht sogar dem ersten Mecklenburger Grape Ale das Landleben zu genießen.

Hotel Schloss Rattey mit Weingut, Brauerei und Hofladen, Schlossplatz 1, 17349 Schönbeck | kontakt(at)schlossrattey.de | +49 3968 25500

Inselmühle Usedom, Bäderstraße 9-11 (B110), 17406 Usedom | kontakt(at)inselmuehle.de | +49 38372 – 769 902