Südlich von Wien findet sich eines der ungewöhnlichsten Restaurants der Alpenregion. Das Relais&Chateaux Taubenkobel liegt mitten im kleinen Ort Schützen nahe dem Neusiedler See und war einst das einfachste Gasthaus der Gegend. 30 Jahre später gehört das gleichnamige Restaurant mit 18 Punkten im Gault Millau zur ersten Riege Österreichs. Mittlerweile hat eine neue Generation die Nachfolge angetreten: Drei-Hauben-Koch Alain Weissgerber und Gastgeberin Barbara Eselböck machen mit einer naturnahen Küche und dem Fokus auf ihre Heimatregion Pannonien auch international von sich Reden.
Das Hideaway schaffte es nicht nur ins Forbes Magazine und auf die Weltrangliste der "World's Best Restaurants". Auch mehr und mehr Gourmets entdecken das beschauliche Burgenland. Ab dem 25. November gibt das Team des gebürtigen Elsässers nun erstmals ein Gastspiel in Wien: Das in der Hauptstadt angesagte Konzept-Café "Supersense" wird bis Weihnachten zum Pop-up-Restaurant. Im Interview verrät Weissgerber, was Gäste in Wien dort erwartet, warum sich der Weg ins Burgenland lohnt und welche Vorteile es hat, abseits von kulinarischen Hotspots zu kochen.
In dieser Woche eröffnen Sie erstmals ein Pop-up-Restaurant. Warum und was erwartet Gäste bei diesem Gastspiel im Wiener Dogenhof?
Weissgerber: "Wir wollen eine gute Zeit haben und zeigen, was wir daheim im Burgenland machen. Das "Zum Tauben Dogen" wird ein Restaurant zum Sinne schärfen, ein Ort, der gutes Essen mit Kunst, Konzerten und Kultur verbindet. Dafür haben wir uns mit Florian Kaps vom "Supersense" zusammengetan. Es ist toll, Menschen zu treffen, die wie er an etwas glauben und ihren eigenen Weg gehen. Sein skurriles Café im schönen Dogenpalast ist eine Art analoges Wunderland und einfach die perfekte Location. Küche wird es durchgehend geben. Tagsüber Frühstück und regionale Klassiker wie Wiener Schnecken oder Neusiedler Zander, abends mehrgängige Menüs in bekannter Taubenkobel-Manier - eine Gourmetküche ohne Schnörkel, aber mit besten biologischen Produkten.Dazu haben wir jeden Tag einen unserer Lieblingsproduzenten zu Gast und es gibt Demeter Glühwein und Maroni. Für den Spaßfaktor sorgen die Schätze aus dem Supersense-Repertoire wie etwa ein Geruchslabor, die kleine Druckerei oder Vintage Polaroid Kameras. Und Kunst für einen guten Zweck spielt eine große Rolle. Künstler wie Erwin Wurm, Petar Petrov oder Hubertus Hohenlohe werden jeden Abend einen goldenen Theaterstuhl gestalten, der dann zugunsten der Flüchtlingshilfe "Connecting People" versteigert wird. Es wird also keinesfalls langweilig..."
Wie unterscheidet sich das Pop-Up von Ihrem Stammhaus im Burgenland?
Weissgerber: "Wien ist die große, weltoffene Bühne. Im Taubenkobel dreht sich dagegen alles um unsere Heimat. Wir verstehen es als Zufluchtsort, ein Hideaway mitten im Grünen sozusagen. Und das zelebrieren wir im ganzen Haus. Alles ist aus natürlichen, nachhaltigen Materialen und spiegelt das individuelle, handgemachte und liebenswerte der pannonischen Kultur wider. So ist auch unsere Küche. Das Haubenrestaurant orientiert sich allein an der Saison und Zutaten aus unserer Region. Daneben läuft unser Weinbistro Greisslerei mit rustikalen Gerichten, inspiriert vom Piemont und Pannonien. Wir backen unser Brot selbst, sammeln Wiesenkräuter, Wildblüten und Beeren im Hügelland. Fischer vom Neusiedler See, Demeter-Höfen und Gemüse-Bauer vor Ort sind unsere wichtigsten Quellen. Selbst unser Geschirr wird seit jeher bei uns im Ort hergestellt.
Braucht es nicht sehr viel Überzeugung, um das so konsequent zu handhaben?
Weissgerber: "In der Tat, aber das ist Einstellungssache. Wir leben hier schließlich und unsere Kinder werden hier groß. Wir nutzen nur hochwertige Demeter und Bio-Produkte, weil wir das schon immer so tun. Meine Frau Barbara sagt oft: Wir können nicht erwarten, dass wir Schlechtes zu uns nehmen und dann strahlen und glücklich sind. Davon sind wir überzeugt und das teilen wir mit unseren Gästen. Genau deshalb arbeiten wir mit Produzenten, die wir persönlich kennen und die den gleichen Anspruch an Qualität haben. Manche haben nur ein Produkt und oft nur saisonal für ein paar Wochen. Darauf muss man sich einstellen, gut planen und improvisieren können. Denn wenn etwas aus ist, brauchen wir ein neues Gericht oder eine gute Weiterentwicklung. Aber den Aufwand ist es Wert. Früher war es normal so zu kochen, heute rückt das Ursprüngliche glücklicherweise wieder mehr und mehr ins Bewusstsein. Das ist, wonach sich viele Menschen sehnen."
Obwohl Sie mit der klassischen, französischen Küche im Elsass groß geworden sind, ist Ihr eigener Kochstil ein anderer. Wie würden Sie Ihre Küche beschreiben und was inspiriert Sie beim Kochen?
Weissgerber: "Beim Kochen mache ich keine Kompromisse. Mir ist der ursprüngliche Geschmack wichtig. Viele Zutaten sind heutzutage ja absolut austauschbar und überall zu bekommen, sie sind sozusagen entwurzelt. Ich komme zwar aus der französischen Küche und habe bei tollen Chefs in Frankreich, Deutschland und Österreich lernen dürfen, aber das Kochen mit Luxusprodukten wie Hummer, Bresse-Huhn und Gänsestopfleber habe ich hinter mir gelassen. Wir wollen genau das Gegenteil mit unserer Küche zeigen. Dass gutes Essen bei natürlich angebauten Zutaten, nachhaltigem Fischfang, biologischer Viehzucht beginnt. Dass es hervorragende regionale Produkte gibt, die dazu noch einzigartig sind, weil man sie eben nicht überall kaufen kann. Dass zeitgemäße Spitzenküche nicht nur aufwendiges Kochen oder kunstvolles Anrichten bedeutet, sondern aus der perfekten Zubereitung von einer Aubergine oder Hausgeflügel bestehen kann. Das inspiriert mich, genauso wie neue Eindrücke, zum Beispiel bei unseren Lieferanten oder auf Reisen. Das macht den Kopf frei und schafft Raum für neue Ideen. Und natürlich mache ich das, was viele Köche gerne machen: essen gehen. Der Blick über den Tellerrand hilft oft, das eigene noch mehr zu schätzen."
Ist das das Erfolgsrezept, wie aus dem einfachen Gasthaus der heutige Taubenkobel wurde?
Weissgerber: "Das ist schwer zu sagen. Das Ganze ist ein Familienprojekt mit vielen Impulsgebern und im besten Sinne gesund gewachsen. 1984 hat alles ganz klein und bescheiden angefangen. Mein Schwiegervater Walter Eselböck und seine Frau Eveline verwirklichten sich mit einem Heurigen für Freunde und Einheimische ihren Lebenstraum. Eine winzige Küche, ein kleiner Gastraum, dazu ein großes Faible für Kunst und naturnahe Weine. Sie war Gastgeberin, er kochte. Die beiden hatten viele gute Ideen und den Mut, Dinge auszuprobieren. Mit viel Passion und in Handarbeit wuchs der einstige Künstlertreff zum heutigen Hotel. Neben den Restaurants sind so über die Jahre elf Zimmer und Suiten im Garten entstanden - und die einfache Küche mauserte sich dank Walter zu einer der höchst bewerteten im Lande.
Ist es für den Taubenkobel als Gourmetadresse kein Nachteil, außerhalb der Hauptstadt zu liegen?
Weissgerber: "Es stimmt, das Burgenland würde man nicht gerade als "Hotspot" bezeichnen und sicher ist es in Großstädten einfacher, auf sich aufmerksam zu machen, da unzählige Touristen ständig nach etwas Besonderem suchen. Andererseits ist die Konkurrenz nicht zu unterschätzen und der Platz für ganzheitliche Konzepte wie unseres begrenzt. Das Burgenland hingegen hat eine gute Esskultur und ist für seine Weine bekannt. Zudem lockt das "Meer der Wiener", der große Neusiedler See, viele raus aus der Stadt in die Natur. Es gibt also durchaus ein paar Vorteile. Aber ich glaube, es kommt nicht mehr so stark auf die Destination an. Früher war die Lage entscheidend, heute ist es viel wichtiger, originell und authentisch zu sein. Das beweisen viele der interessantesten Restaurants weltweit. Wir fühlen uns mit dem Taubenkobel im Burgenland genau richtig und haben uns dort etabliert, wo wir zuhause sind. Deshalb ist es für uns auch normal, mit dem zu arbeiten, was hier wächst. Ein Gast, der hier raus kommt - und man ist ja von Wien in knapp 45 Minuten bei uns - soll einen Ort entdecken, den es so nur einmal gibt. Für den es sich lohnt, zu kommen. Das Pop-up ist eine tolle Chance, auf unsere kleine Welt im Burgenland aufmerksam zu machen."