Von Gregor Tholl
Etepetete Essen gehen - das ist wohl etwas von gestern. Zumindest scheint es in Deutschland immer seltener möglich zu werden. In Dresden ist jetzt zum Beispiel das Sternerestaurant «Caroussel» im Hotel «Bülow Palais» in der Neustadt in einem Bistro aufgegangen. Die Maßnahme scheint nur ein weiterer Baustein im allgemein zu beobachtenden Wandel der Spitzengastronomie zu sein, die Schwellenangst abbauen zu wollen. Die Corona-Krise mit ihren Abhol- oder Bring-Menüs für zu Hause hat diesen Trend nochmal verstärkt.
«Wir bringen die urbane Lässigkeit unseres Bistros mit der kulinarischen Finesse unseres Fine-Dining-Restaurants zusammen», heißt es beim «Bülow Palais», in dem das Lokal jetzt «Caroussel Nouvelle» (Foto) heißt. Gäste sollen dort nach Lust und Anlass zwischen Menüs gehobener Küche oder Bistro-Klassikern wählen können.
Wie hier an der Elbe nehmen viele gehobene Lokale Abstand von allzu konservativer Etikette und wollen zugänglicher werden - leger und lecker. Die Luxusgastronomie will ihren Ruf loswerden, steif, elitär und fast wie eine Prüfung zu sein statt ein entspanntes Erlebnis.
In München wird das traditionsreiche «Tantris» - vor etwa 50 Jahren eines der ersten Michelin-Sterne-Lokale der Bundesrepublik - umgebaut. Das legendäre 70er-Ensemble des Architekten Justus Dahinden beherbergt bald als sogenanntes Maison Culinaire neben dem klassischen Menü-Restaurant «Tantris» auch das neue À-la-carte-Restaurant «Tantris DNA» und die «Tantris Bar».
Zu althergebrachten Luxusrestaurants in Paris oder Monaco, Rom oder Genf gehörte lange Zeit eine gewisse Hemmschwelle, oft auch Sakkopflicht für Herren. Früher gab es auch die sogenannte Damenkarte, auf denen nicht die Preise standen, weil die Frau ja zweifellos die Eingeladene zu sein hatte und ohne schlechtes Gewissen wählen sollte. Das wirkte alles arg wie 19. Jahrhundert, war aber bis ins 21. Jahrhundert durchaus üblich an der Seine oder Côte d'Azur.
In Amerika oder auch Großbritannien gehört dagegen ein zum Teil übertriebener Respekt oder auch eine Abscheu vor Luxusgastronomie französischer Art zum guten Ton. Man denke an Filme wie das Hollywood-Märchen «Pretty Woman», in dem Millionär Edward die Prostituierte Vivian (Julia Roberts) in die feine Welt einführt und sie beim Dinner in Beverly Hills die Schnecken «schlüpfrige kleine Scheißerchen» nennt. Und der britische Comedian Rowan Atkinson kämpfte als Mr. Bean in einem «Fancy restaurant»-Sketch mit dem unerwartet rohen Steak, das eben ein Steak tartar war.
In Deutschland machte sich Loriot schon früh über das Chichi von Gourmetrestaurants und die Nouvelle Cuisine lustig: «Das sieht übersichtlich aus.» Und Kanzler gaben sich volksnah und trugen eine Vorliebe für einfache Küche vor sich her: Saumagen (Helmut Kohl), Schnitzel (Gerhard Schröder), Kartoffelsuppe (Angela Merkel).
In den 70ern, 80ern und auch 90ern gefielen sich deutsche Edellokale noch mit ihrer Orientierung an französischen Gerichten und Vokabeln. Heute gehört es dagegen fast zum guten Ton, simpler zu formulieren.
Lokale wie das «Nobelhart & Schmutzig» in Berlin-Kreuzberg positionieren sich politisch, öko und verkünden: «Essen ist immer auch ein politischer Akt.» Ihr Leitspruch «Brutal lokal» rücke «LebensmittelproduzentInnen im Berliner Umland in den Fokus». Das hat Konsequenzen wie den Verzicht auf Zitronen, Thunfisch und Schokolade.
Die Foodtrendforscherin Hanni Rützler sagt: «Out sind Foie gras und Froschschenkel - aus tierethischen Überlegungen, aber auch klassische Big-Name-Weine. Spannend hingegen sind nun fermentierte Gemüse, alte Sorten, Fleisch von seltenen Tierrassen oder alten Kühen sowie regionale Winzersekte oder Saftbegleitungen.»
Die österreichische Ernährungswissenschaftlerin sagt auch, die Corona-Krise habe die Wertschätzung für regionale Lebensmittel weiter beflügelt und regionale Netzwerke gestärkt. «Schon vor der Pandemie haben viele Sterne-Köche den Haute-Cuisine-Tempeln klassischen Zuschnitts den Rücken gekehrt oder smarte kleine Zweitrestaurants eröffnet, in denen auch casual gekleidete Gourmets willkommen sind.»
Die Pandemie animiere noch mehr Gastronomen dazu, ihre Konzepte zu überdenken und sich mutiger und zeitgemäß aufzustellen. Luxus werde heute anders definiert als in vergangenen Jahrzehnten. «Immer mehr Gästen ist es wichtiger "gut" statt "nobel" zu essen. Das heißt nicht, dass Design keine Rolle spielt, im Gegenteil. Aber die Zeichensprache hat sich verändert. Handwerk, Materialität und Authentizität werden wichtiger. Der professionelle, direkte Kontakt zum Gast ist wichtiger als der aufwändig gedeckte Tisch.» Auch in Frankreich ändere sich gerade viel, meint Rützler. Die französische Küchenkultur bleibe aber weltweit Vorbild in Sachen Faible für qualitative Ausgangsprodukte.
Über den absurden Einsatz von Luxusartikeln alter Schule auf den Karten teurer Restaurants wie Hummer, Kaviar, Gänseleber und Trüffel lästert der aus dem Fernsehen bekannte Stuttgarter Sterne-Koch Vincent Klink übrigens schon lange. Er nennt sie schlicht: «Scherzartikel». dpa