Von Christian Kretschmer und Doreen Fiedler
Sechs Studenten, die sich mit Bierflaschen und Weinbechern zuprosten, Karten spielen, trinken - das ist abends auf dem Campus der Uni Mainz kein seltenes Bild. Der Anlass ist es in diesem Fall aber schon: Es geht um die Wissenschaft. Die Studenten sind Probanden einer Studie, die sich mit Kater und Mitteln dagegen beschäftigt.
Vor dem Trinken werden die Studenten von Versuchsleiter Patrick Schmitteinzeln abgemessen: Gewicht, Körperfett, Wassergehalt, Muskelmasse, Atemalkohol, Urinwerte. Das Gleiche folgt nach der vierstündigen Trink-Session und am nächsten Morgen. "Die Studie ist immens aufwendig", sagt Schmitt, der mit den Ergebnissen seine Masterarbeit in Biologie schreiben will.
Die Probanden bekommen von der Wissenschaft nur am Rande etwas mit. Nach der Voruntersuchung und einem noch schüchternen Kennenlernen spielen sie das erste Trinkspiel, später wird Pizza bestellt. Sieben Bier hat sich Englisch-Studentin Madeleine zum Ziel des Abends gesetzt. Sie sei nicht zuletzt wegen des Freibiers hier - und wegen des Mittels dagegen: "Ich habe immer einen schlimmen Kater".
Medizinstudent Daniel meint: "Ich habe Prüfungen und muss morgen früh wieder lernen". Trotzdem sitzt er nach einer Stunde am vierten Bier. Für den Rest des Versuchs will er sich zurückhalten - eine Konsum-Vorgabe gibt es nicht, jeder Proband trinkt so viel er will. Genügend vorhanden ist in jedem Fall: 60 Liter Bier und Radler sowie 60 Liter Wein sollen für einige Versuche reichen.
Der Anti-Kater-Drink, den ein Teil der Teilnehmer bekommt, wird von einem Mainzer Start-up hergestellt. Darin enthalten sind Pflanzenextrakte wie Ginkgo, Ingwer, Kaktusfeige und Weidenrinde sowie Elektrolyte - zum Beispiel Magnesium und Natrium - und die Vitamine C, B1, B2, B6 und B12. "Wir haben dafür viel in Selbstversuchen experimentiert", sagt Getränke-Erfinder Christopher Prätsch lachend.
Eine der Ideen: Die sogenannten antioxidativen Stoffe der Pflanzen sollen einige freie Radikale im Körper fangen, also Moleküle, die besonders reaktionsfreudig sind. Gibt es von diesen zu viele, kann die Reparaturfunktion einer Zelle überfordert sein - was zu sogenanntem oxidativen Stress führt.
"Der Alkohol schädigt einzelne Zellen so stark, dass sie quasi Selbstmord begehen", erklärt Schmitt. Dieser oxidative Stress kann seit Kurzem in der Haut gemessen werden. Die Charité in Berlin habe eine Art Scanner entwickelt, den er für seinen Versuch einsetze, sagt Schmitt. "Je nachdem, welche Enzyme und Antioxidantien in der Haut sind, kommt verschiedenes Licht zurück."
Die Theorie von Schmitt besagt, dass im Urin der Probanden nach dem Alkoholtrinken mehr Leukozyten - weiße Blutzellen - sind als zuvor. "Der oxidative Stress führt dazu, dass es Entzündungserscheinungen gibt und damit die Zahl der Leukozyten steigt, weil der Körper die Entzündungen bekämpft." Schmitt und Prätsch denken, dass das Getränk diesen Effekt abmildern könnte.
Bisher seien solche Kater-Studien nur mit Hilfe von Fragebögen oder anhand eines Parameters im Blut durchgeführt worden, sagt Schmitt. Er befrage die Teilnehmer, messe allerdings auch den oxidativen Stress in der Haut. 350 Zusagen von Versuchsteilnehmern gebe es derzeit, 20 Termine seien angesetzt. So eine umfangreiche Masterarbeit sei "sehr ungewöhnlich", sagt Bernhard Lieb, der als Professor für Molekulare Physiologie der Universität die Studie betreut. "In 20 Jahren in Mainz ist mir das noch nicht untergekommen."
Lieb findet die Untersuchung "spannend, interessant" und freut sich auf die Ergebnisse. Schmitt möchte die Arbeit in einem wissenschaftlichen Journal publizieren. Und Prätsch - dessen Unternehmen Bier und Wein gesponsort hat - hofft darauf, dass sich Anti-Kater-Drinks als Getränke-Kategorie etablieren. "Anders als etwa Energy Drinks gibt es das so noch gar nicht." dpa