Tenuta Luce Zu Gast bei den Marchesi Frescobaldi

Der Abend senkt sich über Florenz, der spiegelglatte Arno reflektiert die Silhouette der Stadt: So oft erlebt, und doch zieht uns die Blütestätte der italienischen Renaissance immer wieder neu in den Bann. Umso mehr, als die Toskana uns an diesen ersten Oktobertagen mit spätsommerlichen Temperaturen empfängt. Diese glückliche Fügung, diesen Zauber eines wahrhaft italienischen Moments, verdanken wir dem Marchese Frescobaldi, der die GOURMETWELTEN zu einem Besuch seines Spitzenweinguts Tenuta Luce eingeladen hat.

Bollicine von der Ururgroßmutter

Bevor wir die Tenuta Luce besichtigen, begrüßt uns das Frescobaldi-Team im Innenhof unseres malerisch am Arno gelegenen Hotels zum Aperitif und Dinner. Die Bollicine kommen - wie könnte es anders sein - vom Castello Pomino östlich von Florenz, das zusammen mit der Tenuta Luce und sieben anderen Weingütern zur Familie der Frescobaldi gehört. Wir trinken den Leonia Pomino Spumante Bianco DOC - Metodo Classico, für den sich Lamberto Frescobaldi von seiner gleichnamigen und wohl sehr mutigen Ururgroßmutter hat inspirieren lassen:

„Sie war es, die in Pomino französische Reben pflanzte und im ersten Weinkeller Italiens, der nach dem Gravitationsprinzip arbeitete, vinifizierte. Auf der Pariser Weltausstellung 1878 wurde ihr dafür die Goldmedaille verliehen“, erzählt der Marchese. Tatsächlich wird dieser noble Spumante aus Chardonnay-Trauben und einer kleinen Zugabe von Pinot Noir-Trauben hergestellt und zeichnet sich durch eine feine Perlage, Aromen von gelben Früchten und Origano sowie eine feine, mineralische Note aus. Er wird uns auch in den nächsten Tagen als Aperitif der Wahl der Frescobaldi begleiten.

Gourmetwelten-Autorin Gesa Noormann mit Marchese Frescobaldi

Lucente als Einstieg in die Luce-Weinwelt

Zum Seeteufel-Röllchen mit Speck und Pilzen dürfen wir zur Einstimmung den Zweit-Wein von der Tenuta Luce probieren, den Lucente. Wie der Luce entsteht er aus einer Assemblage von Sangiovese und Merlot, der im Blend dominiert. Die Trauben für den Lucente kommen von einem Terroir, das für einen besonders fruchtigen Charakter und hohe Trinkigkeit sorgt. Vor der Abfüllung auf die Flasche wird Lucente ein Jahr in Barriques aus französischer Eiche (80% Zweitbelegung und vorher für Luce verwendet sowie 20% neue Fässer) ausgebaut. Ein eleganter Wein mit einem Bouquet von frischen roten Früchten, eingebettet in leichte Gewürz- und Vanille-Noten: Mit 30 Euro liegt er bei einem knappen Drittel des (jungen) Luce und eignet sich als perfekter Einstieg in die Tenuta Luce-Weinwelt.

Hügel, Zypressen und Weinberge

Als wir am nächsten Morgen zu früher Stunde in kleinen, weinbergtauglichen Bussen Richtung Montalcino aufbrechen, erleben wir auf 100 Kilometern die ganze Schönheit der klassischen Toskana mit ihren sanften Hügeln und den harmonisch Spalier stehenden Zypressen. Die Ausläufer von Siena, malerische Dörfer und die Weinberge großer Namen wie Antinori und Castello Bolgheri ziehen an uns vorbei wie lässig aufgereihte Perlen einer kostbaren Kette. Als im Süden der Toskana schließlich der filmreif auf einem Hügel thronende Ort Montalcino vor uns auftaucht, wissen wir, dass es nicht mehr weit ist zur Tenuta Luce.

249 Hektar schönstes Montalcino

Das Weingut liegt südwestlich des Ortes, im Herzen des Naturparks Val d’Orcia. In der Vorrenaissance wurde diese landwirtschaftlich geprägte Landschaft ästhetisch neu gestaltet und gehört seit 2004 zum Welterbe der UNESCO. Als wir das Gutsschild erreichen, fahren wir noch einmal gut 10 Minuten - schließlich umfasst das Gut stolze 249 Hektar Landbesitz mit ausgedehnten Waldflächen und Olivenhainen, 88 Hektar davon sind Weinberge. Schön ist es hier in dem alten Haupthaus, das von einem herrlichen mediterranen Garten aus der Feder des Gartendesigners Richard Shelbourne umgeben ist. Beseelt schweift der Blick über weite Felder und Wälder, bis am Horizont das nur 50 km entfernte Mittelmeer zu erahnen ist.

Die Geschichte

Es ist das Zusammenspiel aus einem fast blendenden Licht, frischen Wind und den unterschiedlichen Böden und Höhenlagen, die aus diesem Besitz in Montalcino eine Art „auserwähltes Land“ machen. Genau das hatte es den beiden Weinpersönlichkeiten Vittorio Frescobaldi und Robert Mondavi in der frühen 1990er-Jahren angetan. Nur, dass sie nicht den weltberühmten Brunello di Montalcino herstellen, sondern neue, eigene Wege für einen herausragenden Wein gehen wollten. Sie holten ihre Söhne Tim und Lamberto ins Boot und konzipierten mit dem Luce eine Cuvée, die die charakteristische Frucht der autochtonen Sangiovese-Traube mit der Rundheit und Fülle des Merlot als harmonische Fusion vereinen sollte. Jeder Aspekt von der Bewirtschaftung des Weinbergs bis zu den Kellertechniken wurde präzise durchdacht und geplant mit dem Ergebnis, dass bereits die ersten, 1997 vorgestellten Weine große Aufmerksamkeit bekamen. Mondavi stiegt 2004 aus dem Projekt aus, Lamberto Frescobaldi übernahm die Führung und konnte seinen Spitzenwein Luce fest in der internationalen Weinszene etablieren.

Die Wein-Familie der Tenuta Luce

Nach den ersten beiden Jahrgängen des Luce 1993 und 1994 ergänzte ab 1998 der Zweitwein Lucente das Portfolio, 2003 folgte der Luce Brunello. Mit dem Jahrgang 2015 schließlich entstand aus einer unverwechselbaren Interpretation des gleichen Terroirs von Luce der auf wenige hundert Flaschen limitierte Lux Vitis, ein Blend aus Cabernet Sauvignon mit einem kleinen Anteil Sangiovese. Heute verteilen sich die 88 Hektar der Tenuta Luce auf 50 Hektar Merlot, 30 Sangiovese, 5 Brunello und 3 Cabernet Sauvignon.

Neuer technischer Direktor

Seit September 2019 hat die Tenuta Luce mit Alessandro Marini einen neuen Kellermeister bekommen. Seinen Master in Önologie machte der aus den Marken stammende Weinmacher an der Universität Bordeaux und war dort zuletzt als Kellermeister im Château Bellefont-Belcier in St. Emilion tätig. Nach sieben Jahren im Bordelais zog es ihn allerdings zurück in die Heimat, und er folgte dem Ruf von Frescobaldis Önologen Nicolò D’Afflitto - nicht zuletzt wegen seiner in Bordeaux entwickelten Affinität zur Merlot-Traube. Ob seine französische Prägung etwas an der Stilistik der Weine ändern wird? Er wolle den Wein nicht stören, sagt Marini: „Durch meine Arbeit in Bordeaux habe ich erkannt, dass die Hauptrolle bei einem großen Wein dem Terroir zukommen muss, und meine Aufgabe ist es, unser spezielles Terroir bestmöglich zum Ausdruck zu bringen.“

Herausforderungen durch den Klimawandel

Zu seinen Herausforderungen gehört, sich dem Wassermangel und immer heißer werdenden Sommern als Folgen des Klimawandels anzupassen: „Aus diesem Grund verzichten wir in einigen unserer Weinberge auf das Beschneiden und bevorzugen das Triebkappen, bei dem die letzte Triebspitze manuell gedreht wird, so dass sie nicht mehr von selbst wächst. Dies senkt den Wasserbedarf der Pflanze und das Wachstum von Nebenzweigen, die mit ihren jungen Blättern zunächst Wasser verbrauchen und in einem zweiten Schritt Zucker produzieren, was zu einem noch höheren Alkoholgehalt in den Weinen führt. Des Weiteren haben wir eine Tropfbewässerung in den jungen, mit ihrem oberflächlichen Wurzelsystem empfindlichen Weinbergen eingeführt.“

Nachhaltigkeit als Grundprinzip

Gemeinsam mit Alessandro Marini fahren wir in eine der höchsten Lagen (bis zu 430 Meter über dem Meeresspiegel), in denen als Bodentyp Galestro mit tonhaltigem Schiefer und einem hohen, stark drainierenden Skelettanteil dominiert. Optimal für den wasserscheuen Sangiovese, der hier auch dank des geschützten Mikroklimas ideale Bedingungen für das reiche Wachstum seiner kleinbeerigen Früchte findet. Zwischen den Reben wachsen bis zu 13 verschiedene Pflanzenarten, die den Boden anreichern sollen. „Seit 2013 sind wir auf biologischen Anbau umgestiegen, um unsere Weinberge nachhaltiger zu bewirtschaften und die Artenvielfalt der Weinberge und der umgebenden Natur zu erhalten. Wir verzichten auf Chemikalien und Herbizide und verwenden stattdessen natürliche Produkte wie organische Düngemittel und natürlichen Gründünger“ erklärt Marini. „Es ist toll zu beobachten, wie im Frühling ein wahres Bienenfest im Weinberg stattfindet.“

Nur die besten Beeren schaffen es

Laut dem Rhythmus der Natur wird erst der Merlot und dann der später reifende Sangiovese geerntet. Die von Hand, Parzelle für Parzelle gelesenen Trauben werden nochmals selektiert, um nur die besten Beeren dem Vinifikationsprozess zuzuführen. Zurück im Weingut bewundern wir die in Luce-Rot gestrichenen, tulpenförmigen Zementtanks, in denen die Trauben getrennt mazeriert werden. Anschließend steigen wir in das Allerheiligste der Tenuta Luce hinab, den 2018 eröffneten unterirdischen Keller. Hier reift der Luce 24 Monate in Barriques aus französischer Eiche (80% neu und 20% Zweitbelegung), dann folgen weitere 6 Monate Reifelagerung auf der Flasche.

Toskanischer Sonnenkönig

Eher wie in einem Tempel als in einem Gärkeller fühlt es sich zwischen den bordeauxroten Fässern und dem alles überstrahlenden Luce-Logo an. Mit seinem Kranz aus 12 Flammen ist es übrigens einer Darstellung vom Hauptaltar der Kirche Santo Spirito in Florenz nachempfunden, die auf einem von der Familie Frescobaldi gestifteten Grundstück erbaut wurde. Als Lamberto Frescobaldo unter dem beleuchteten Strahlen-Logo steht, wirkt er ein wenig wie die toskanische Variante des Sonnenkönigs. „We are so glad that you share this dream with us“, sagt der Marchese mit verhaltenem Stolz und der eleganten Selbstverständlichkeit einer Familie, deren Name seit 1000 Jahren eng mit Florenz und der Toskana verbunden ist.

Weinkeller als mittelalterliche Bibliothek

Und ja, wir freuen uns auch, dass wir an diesem Stück toskanischer Grandezza teilhaben dürfen. Als wir in den wie eine mittelalterliche Bibliothek anmutenden Weinkeller eintreten, erfasst uns eine gewisse Ehrfurcht. In dem komplett mit Schwarznussholz vertäfelten Raum mit intarsiertem Fußboden, einer Kassettendecke und klassischen Säulen sind alle Jahrgänge des Luce und seiner Geschwisterweine unter Glas aufgestellt. Dieser gedämpft beleuchtete, fast sakrale Ort zelebriert Weinkultur auf höchstem Niveau - und wir sind nun mehr als gespannt auf den kostbaren Inhalt der Flaschen.

Drei große Jahrgänge Luce: 2019, 2016 und 2013

Zum toskanischen Lunch, das der Küchenchef der Tenuta für uns zubereitet hat, stehen drei Jahrgänge des Luce, 2013, 2016 und 2019, zur Verkostung bereit. „Luce ist erwachsen geworden“ schrieb Steffen Maus, Italienkenner und Verfasser des Standardwerkes „Italiens Weinwelten“ im Jahr 2015. Und heute? „Mein damaliger Eindruck hat sich mehr als bewahrheitet. Die gerade verkosteten Jahrgänge gehen noch einen Schritt weiter in Richtung Reife und Ausdrucksglanz, wobei die Sangiovese-Traube mit den Jahren interessanterweise stärker durchkommt. Insgesamt hat der Luce eine unglaubliche Strahlkraft entwickelt.“

Und was sagt die Grande Dame des Weins zu den verkosteten Luce-Jahrgängen? Paula Bosch, erste deutsche Sommelière mit 35 Jahren Erfahrung in der Sternegastronomie, sitzt mir gegenüber und hat ihre Eindrücke für uns ganz wunderbar in sinnliche, geschmacksevozierende Worte gefasst. Sie zu lesen ist fast so schön, wie den Wein zu trinken:

Luce 2019

„Sehr moderner, konzentrierter Stil. Seine Aromatik lässt an schwarze und rote Waldfrüchte im Vanilletopf denken. Ebenso frisches, feuchtes Laub und getrocknete Steinpilze, frisch gepfeffert auf Toastbrot. Geröstetes Holzofenbrot mit Sauerkirschmarmelade und süßliche Gewürze. Lebkuchennote  mit Bitterschokolade. Im Gaumen mit viel Schmelz und zahlreichen, reifen Tanninen. Mollig, plüschig, zungenumwickelnde Stoffigkeit. Süßlich, ohne süß zu sein, aber mit hoher Fruchtreife. Hier passt alles, vom perfekten Spiel der Aromen bis zur energiegeladenen Textur voller Balance, die mit viel Eleganz ihren leicht molligen Körper überdeckt. Am Ende entdecke ich einen Hang oder gar Verwandtschaft zu einem Weintyp der vergangenen Jahre wie wir ihn aus Übersee kannte. Nostalgie, Nostalgie.“

Luce 2016

„Dieser Jahrgang wirkt etwas weniger reif, weniger kompakt, ja sogar zum Schluss fast etwas karg im Charakter. Diese Symptome sind teils auch den signifikanten Regenfällen im Frühling wie im Sommer zuzuschreiben. Dennoch zeigt sich der Wein bei unserem Trinkgenuss im September präsent mit all seinen feinen Aromaten herbstlicher Früchte von reifen Feigen, getrockneten Birnen, Kastanien, getrocknetem Laub. Deutlich erkennbar sind in der Nase immer noch dezente Eichennoten mit süßlicher Bourbon-Vanille. Die Tannine sind zahlreich, noch nicht rund geschliffen, etwas kräutrig, leicht grün, aber keineswegs unreif. Die gereiften Fruchtaromen, gepaart mit einer Lebendigkeit und präsenter Frische machen auch aus diesem Jahrgang ein Trinkvergnügen.“ 

Luce 2013

„Im perfekten Trinkstadium, bestens gereift und ausgewogen. Es war nicht der größte Jahrgang in der Historie des noch jungen Weinguts, aber im Moment ist er derjenige, der vollkommen überzeugend alle Attribute eines perfekten Weines präsentiert. Vom ersten Moment der Begegnung hat der Weine eine Strahlkraft mit seinem glasklaren, rubinroten Auftritt und opulentem Bouquet in der Nase. Überzeugend und selbstsicher der Duft, Reife zeigend ja, aber faltenfrei, genau auf dem Punkt der Begehrenden, der ein bestimmtes Verlangen zu erzeugen vermag, so dringlich, dass der erste Schluck unmittelbar nach dem ersten Dufteindruck folgt, dann der nächste und viele weitere folgend. Den zahlreichen Aromen herbstlichen Ursprungs vom feuchten Waldboden, Unterholz, Tannen, oder einer ganzen Pilzsammlung folgt ein perfektes Säurespiel mit einer perfekten Tanninpräsenz, reif, rund, mundfüllend und saftend am Zungengrund. Frisch, trotzdem ohne Ecken und Kanten mit einer Balance, die bis zum langen Ende den Wein zusammenhält. Weinvergnügen pur!“ (Tasted from PB 09/2022 by Luce)

Brunello auf der Piazza della Signoria

Nach einer köstlichen Zitronentarte und Espresso fahren wir zurück nach Florenz und werden auf der Piazzale Michelangelo von einem atemberaubenden Blick auf die Stadt im Licht der Abendsonne belohnt. Jetzt schnell aufs Hotelfahrrad geschwungen, die Ponte Vecchio mit dem Handy eingefangen und den obligatorischen Negroni Sbagliato in Oltrarno getrunken. Was für ein Tag, was für ein Abend, was für eine Nacht! Uns erwartet ein Dinner im Restaurant Frescobaldi auf einem der schönsten Plätze der Stadt, der Piazza della Signoria mit dem Palazzo Vecchio, dem David von Michelangelo und Giovanni da Bolognas Raub der Sabinerinnen. Vor dieser Kulisse probieren wir schließlich den Luce Brunello, der Hommage der Tenuta an die Tradition von Montalcino. Die Trauben des Rebgartens Madonnino bringen die Eleganz und Struktur der Sangiovese-Sorte zu voller Entfaltung. Entstanden ist ein kraftvoller, rubinroter Wein mit milder Säure und Aromen von Zwetschgen, Kräutern und Tabak. Eine gelungene Balance aus reifer Frucht, fein verwobenen Tanninen und einem langen Abgang - so, wie diese Reise zur Tenuta Luce und den Marchesi Frescobaldi noch lange, und nicht nur am Gaumen, nachhallen wird.