Von Honza Klein
Klein Mitten im Weinberg sitze ich auf der Terrasse der Locanda San Giorgio in Neviglie. Der Blick schweift weit über die Landschaft. In der Ferne erheben sich die Gipfel der Alpen, im Vordergrund sieht man Weinberge auf den unzähligen Hügeln verstreut. Es ist die Heimat des Dolcetto, dem man heilende Wirkung nachsagt und der von den Einheimischen in der Tat fast medizinisch betrachtet wird, die Heimat des Barolo, des Barbera und es Nebbiolo. Klangvolle Namen und noch besser, wenn man eine Probe davon im Glas hat.
So sitze ich also mit einem guten Roten zusammen mit einer Kollegin im herbstlichen Licht und genieße den Ausblick. Wir sind mit Martin Hartweg verabredet. Der Bayer lebt seit 19 Jahren hier. Damals, vor gut zwei Jahrzehnten, hatte er noch ein Delikatessen- und Weingeschäft in München. »Irgendwann war ich auf einer Messe in Mailand und nutzte die Chance, mir endlich mal das Piemont anzuschauen«, erzählt er, als er sich zu uns und dem Wein gesellt. »Da kam eine junge Italienerin in die Bar, in der ich gerade saß, und um mich war es geschehen.« Seitdem ist seine Heimat Italien.
Zuvor hatte sich Hartweg schon reichlich in der Welt der edlen Rebe umgeschaut: Frankreich, Südafrika, Kalifornien, Spanien - überall hat er bei Weinbauern gelernt. So passte es natürlich bestens, dass seine Frau aus einer der alteingesessensten Weinbaufamilien des Piemont stammt. Doch Hartweg wollte seinen eigenen Wein. Zusammen mit zwei Partnern gründete er das Weingut Rapalino und nun fließt jährlich Rebensaft in etwa 70 000 Flaschen. Nicht viel, aber dafür von bester Qualität. Hartweg will lieber langsam wachsen, nur das Beste machen. Dazu gehören edelste Fässer und viel Zeit für die Lagerung, nur echte Korken, die bis zu 2 Euro kosten.
Seine neueste Idee: Ein Pinot Noir, der eigentlich in dieser Gegend völlig untypisch ist. Die Reben dafür hat er aus Österreich geholt und dafür manch schrägen Blick geerntet. Doch als wir an einem anderen Tag bei Winzer Flavio Roddolo sitzen, ist plötzlich alles gut. Roddolo gehört zu den besten der Region. Weinführer loben seine Produkte regelmäßig überschwänglich. Extra für ihn hat Hartweg eine erste Flasche des neuen Pinot dabei. Lange lässt Roddolo den Saft im Glas kreisen. Bei der Weinprobe, die er uns bietet, redet er schon den ganzen Vormittag kaum ein Wort. Er scheint ein wenig knochig. Dann nimmt er einen Schluck des Pinot, schließt die Augen, man sieht den Wein an seinem Kehlkopf vorbeigleiten und sein Blick sagt: Das war gut. Nicht viel mehr. »Gut«, sagt er dann immerhin wirklich.
Wie sehr dieses Urteil zählt, zeigte uns dann in den kommenden Tagen die Tatsache, dass Hartweg diese Geschichte immer wieder erzählte. Man spürt in solchen Situationen die Leidenschaft für den Wein. Eine andere Leidenschaft des Italo-Bayern war immer zu spüren, besser zu riechen, wenn man in seinem Auto saß. Cigarren und Trüffel. Nun darf man ruhig davon ausgehen, dass beide Düfte nicht so recht zusammenpassen. Umso intensiver stellen sie sich dar. Es ist Herbst und noch bis Ende Januar ist die Hochzeit des weißen Albatrüffels. Kaum ein Restaurant, das nicht Trüffel auf der Karte hat, in Alba beim Trüffelmarkt scheint es fast so, als gehörten Trüffel zu den Grundnahrungsmitteln.
In Alba am Dom sitzen wir denn am Abend auch in einem der fast 30 Sternelokale der Gegend, im Piazza Duomo. In der michelinsternveredelten Küche von Enrico Crippa sieht es ein wenig aus wie auf einer Raumstation – viel Chrom, alles blitzsauber. Crippa hat bei Alain Ducasse und Gualtiero Marchesi gelernt. In dieser Jahreszeit wird natürlich zu allem kräftig Trüffel darübergehobelt. Zum Kaninchen mit Haselnuss-Sauce, zur Kartoffelsuppe, zu Rindfleisch, das natürlich auch aus der Region.
Der Trüffel, den wir an diesem Abend verbrauchen, wiegt 265 Gramm. »Das sind gut 1200 Euro Einkaufspreis«, erzählt Hartweg. In Deutschland kostet das Gramm im Restaurant um die 8 Euro. Schnell gerechnet: 2120 Euo hätte unsere edle Pilzbeilage auf der Rechnung ausgemacht. Aber wer will angesichts solchen Genusses schon an Geld denken. Zudem kann man nicht einfach mal so in den Wald gehen und suchen. Das merken wir, als wir am nächsten Tag Paolo (seinen Nachnamen mag er nicht nennen) und seinen Hund Didi, einen Lagotto Romagnolo, bei der Suche begleiten dürfen.
Stundenlang gehen wir eine Pappelallee auf und ab. »Hier habe ich schon oft etwas gefunden«, sagt er. An diesem Vormittag haben wir Pech. Wie viel tatsächlich Jahr für Jahr in der Region gefunden wird, erfahren wir nicht. Darüber wird nicht gesprochen. Zu groß ist das Geschäft. Zwischen 20 000 und 200 000 Euro sollen gute Trüffelsucher verdienen, erfahren wir hinter vorgehaltener Hand. Allein ein gut ausgebildeter Trüffelhund kostet bis zu 20 000 Euro.
Da ist das mit Trüffeln verfeinerte Schweinefilet von Primo Montaldo für 15 Euro geradezu ein Schnäppchen. Jedoch ein schwer zu bekommendes. Eine Adresse in Deutschland ist Walters Hof in Kampen auf Sylt. Denn auch Primo, der kleine freundliche Fleischer, mag nicht, dass seine Adresse geschrieben wird. »Sonst kommen nur ständig irgendwelche Touristen und rauben mir die Ruhe und die Zeit zur Arbeit.« Denn Zeit braucht es. Jedes Filet massiert er liebevoll per Hand. Entweder mit Trüffeln, Kräutern, Safran, Knoblauch, Peperoni oder einfach nur mit Salz. Dann wird wochenlang luftgetrocknet. Das Ergebnis ist »Sex auf der Zunge«, wie es die englische Journalisten-Kollegin ausdrückt.
Außer dem Filet bietet Primo Montaldo feinste Salami und einen in einem besonderen Rotweinsud behandelten Schinken. Dieses für die Region untypische Rezept verdankt er der Schlacht bei Marengo im Juni 1800, als Napoleon die Österreicher schlug. Denn der Hof des Fleischers, der seit gut 500 Jahren in Familienbesitz ist, liegt auf einer kleinen Anhöhe. »Das gesamte Gehöft wurde von Napoleon besetzt und diente ihm als Hauptquartier«, erzählt Montaldo. »Beim Abzug vergaß der Koch des Franzosen sein Kochbuch und so landete das Rezept mit dem Rotweinschinken in meiner Familie.« Dass es offensichtlich ein frankophiler Leckerbissen ist, zeigt die Tatsache, dass auch Gerard Depardieu zu den Kunden des freundlichen Piemontesers gehört.
Montaldo treffen wir auch wieder beim Trüffelmarkt in Alba. In einer riesigen Halle inmitten der Stadt drängen sich Besucher an etlichen Ständen mit Trüffeln vorbei. Dazu gibt es Wein, Schinken, das besagte Schweinefilet, Käse - ungefähr so muss das Schlaraffenland aussehen. »Man muss aber aufpassen, was man da angeboten bekommt«, warnt uns Hartweg. Manches, was da als Albatrüffel feilgeboten werde, sei in Wahrheit aus Slowenien oder Kroatien und nicht besonders frisch. Dieses Problem haben wir nicht, als wir zusammen zum Schluss unserer Genusstour wieder mal im Torre del Monastero sitzen. Ein ganz einfaches Restaurant inmitten des Örtchens Neviglie.
Ein Blick in das Weinregal ließe jedoch manchen Sommelier eines Edelrestaurants in Deutschland erblassen. Und noch einmal kommen all die auch so simplen und doch so leckeren Köstlichkeiten auf den Tresen. Später rauche ich mit Martin noch eine Cigarre im Weinberg. »Siehst du es jetzt ein«, fragt oder besser stellt er fest. »Alle reden immer von der Toscana. Aber das ist doch wirklich etwas für Anfänger.«