Von Christiane Raatz
Flaschendrehen gehört für Jürgen Aumüller zum Geschäft. Vorsichtig nimmt der Kellermeister und Chefwinzer des Staatsweinguts Schloss Wackerbarth die Sektflasche aus dem Rüttelpult, dreht sie ein wenig und stellt sie kopfüber zurück in das Holzregal. Jeden Tag gilt es im Keller des Radebeuler Weinguts Hunderte Flaschen per Hand nach einem genau festgelegten Schema zu drehen - vier Wochen lang. So lange dauert es, bis sich die Hefe wie feiner Sand im Flaschenhals ablagert. Eine Etage weiter oben wird die Hefe dann vereist und fliegt mit einem lauten Plopp aus der Flasche.
Zuvor wurden die Sekte mindestens neun Monate in Flaschen im Keller gelagert, manche sogar mehrere Jahre. Aumüller spricht bei dem Verfahren von der «klassischen Flaschengärung», das heute noch wie vor fast 180 Jahren in Sachsen praktiziert wird.
1836 war es, als der französische Kellermeister Joseph Mouzon die Handwerkskunst aus der Champagne nach Radebeul brachte. Auch der sächsische Königshof fand rasch Geschmack an dem perlenden Getränk. Seit 1979 führt das Weingut Schloss Wackerbarth die Tradition der ehemaligen Sektkellerei Bussard fort - nach eigenem Bekunden die zweitälteste Sektkellerei Deutschlands. Im nächsten Jahr wird das Jubiläum zu 180 Jahren Sekt in Sachsen mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert.
Kerner, Riesling und Weißburgunder lagern in riesigen Edelstahltanks, diese Weinsorten nutzt Wackerbarth für seinen Sekt. «Wir wollen die besten Eigenschaften der verschiedenen Trauben miteinander vermählen», so Aumüller. Etwa 250 000 Flaschen aus heimischen Trauben werden pro Jahr produziert - damit bewegt sich das Gut in einer Nische.
2014 wurden nach Angaben des Deutschen Weininstituts (DWI) bundesweit rund 8,5 Millionen Liter Winzersekt qualitätsgeprüft und abgefüllt. Am gesamtdeutschen Sektmarkt mit rund 305 Millionen Litern hat der Winzersekt nur einen geringen Anteil von rund zwei Prozent. Zum Vergleich: Der deutsche Sektmarktführer Rotkäppchen-Mumm setzte im Vorjahr allein 167 Millionen Flaschen Sekt ab.
Winzersekt gilt als Spezialität. Für die Herstellung - meist direkt aus den Trauben des Winzers - wird dem Grundwein Zucker und eine spezielle Hefe hinzugefügt. Während der zweiten Gärung entsteht Kohlensäure - der Druck kann bis zu sechs Bar erreichen. Das sei mehr Druck als auf einem Autoreifen, so DWI-Sprecher Ernst Büscher. «Je länger man der Kohlensäure Zeit gibt, sich mit dem Wein zu verbinden, desto länger perlt der Sekt im Glas.»
Bundesweit gibt es laut DWI rund 4660 amtlich geprüfte Winzersekte, besonders groß ist die Vielfalt in der Pfalz mit mehr als 1100 verschiedene Sekten. In den Weinbaugebieten Sachsen und Saale-Unstrut sind es jeweils 17 verschiedene solcher Sekte, auch Rotkäppchen hat Premiumsekt im Angebot. 77 600 Liter Schaumwein wurden 2014 in Sachsen hergestellt, im Anbaugebiet Saale-Unstrut waren es 30 900.
Die Herstellung eines traditionell in der Flasche vergorenen Sektes erfordere handwerkliches Können, so der Vorsitzende des Weinbauverbandes Sachsen, Christoph Reiner. Immer mehr Winzer und auch kleinere Weingüter entdecken das perlende Getränk jedoch für sich. Das größte private Weingut, Schloss Proschwitz, stellt mittlerweile Traminer- und Frühburgunder-Sekt her. Bei der jüngsten Landesweinprämierung wurden insgesamt fünf sächsische Winzersekte mit Gold ausgezeichnet.
Bei der Winzergenossenschaft Meissen, in der rund 1500 Winzer und Mitgliedsbetriebe organisiert sind, macht der Verkauf von Sekt schon fast zehn Prozent des Umsatzes aus. «Wir haben bis vor etwa acht Jahren nur ein begrenztes Sortiment an Sekt verkauft, das war jedoch regelmäßig schnell ausgetrunken», sagte eine Sprecherin. Seit Jahren setzt die Genossenschaft daher verstärkt auf Winzersekt und baut das Angebot mit Riesling, Rosé oder Weißburgunder aus.
«Die Nachfrage ist wachsend», bestätigt Wackerbarth-Geschäftsführerin Sonja Schilg. Zahlreiche Winzer lassen ihre Sekte mittlerweile auf dem Weingut keltern, manche verkaufen auch ihre Grundweine an das Weingut. «Wir brauchen jede Traube», sagt die Chefin. Mit rund 250 000 Flaschen pro Jahr werden ebenso viele Wein- wie Sektflaschen in Radebeul abgefüllt. Hinzu kommen noch rund 300 000 Flaschen Sekt, die zusammen mit Partnern wie Henkell produziert werden. Dabei handelt es sich allerdings um preiswerte Handelsmarken.
Für die meisten Winzer in Sachsen sei der Sekt von der Menge her nicht so bedeutend wie die Weine. «Aber es ist ein Stück Image», sagt Schilg. Zudem bedeute Sekt, der teils über Jahre hinweg in den Kellern lagert, für viele Weinbauern ein zusätzliches Standbein. Gerade angesichts des Wetters, das den Winzern im Elbtal mitunter einen Strich durch die Rechnung macht. So rechnet Schilg vor, dass allein Wackerbarth zwischen 2009 und 2013 wegen witterungsbedingter Ernteausfälle rund 2,5 Jahrgänge verloren hat. Einen guten Sekt im Keller zu haben, kann das zumindest etwas kompensieren. dpa
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So entsteht Winzersekt
Für Winzersekt werden nach Angaben des Deutschen Weininstituts in der Regel Trauben aus eigenen Weinbergen verwendet. Er soll die persönliche Handschrift des Weinbauers tragen. Hergestellt wird Winzersekt aus einem Grundwein meist nach der traditionellen oder Flaschengärmethode. Dieses Verfahren gilt als besonders aufwendig.
So muss der Grundwein in die Sektflasche gefüllt und durch die Zugabe von Hefe und Zucker zur zweiten Gärung gebracht werden. Dann muss der Sekt mindestens neun Monate im dunklen und kühlen Keller ruhen und reifen. Danach werden die Flaschen kopfüber in sogenannte Rüttelpulte gesteckt, vier Wochen lang täglich gedreht und immer steiler aufgerichtet. Der Hefepfropfen, der sich auf diese Weise bildet, wird durch Vereisung und den Druck der Kohlensäure aus der Flasche geschleudert. Anschließend wird die Flasche mit einem Korken verschlossen. Das Verfahren stammt aus Frankreich.
Ohne Prozente durch die Silvesternacht
«Noch ein bisschen Sekt?» - «Nein danke, ich muss heute fahren.» Egal ob wegen Autofahrens, aus religiösen Gründen oder einfach wegen des Geschmacks - für immer mehr Sektliebhaber scheint die alkoholfreie Variante zu einer Alternative zu werden. Auch in der Silvesternacht.
Alkoholfreien Sekt gibt es zwar bereits seit Ende der 1980er Jahre. «Doch in den letzten Jahren hat sich auch bei den Sektfans der alkoholfreie Genuss zu einem echten Trend entwickelt», sagt der Sprecher der Geschäftsführung der Henkell & Co.-Gruppe, Andreas Brokemper, in Wiesbaden.
Nach seiner Einschätzung waren es primär Rosésekte, alkoholfreie Sekte sowie Sektcocktails, die dem Markt Auftrieb verliehen haben. Im Zuge dieses Trends hätten exklusive Ausstattungen, wie etwa eine schicke weiße Flasche, eine immer größere Rolle gespielt.
Weinhaltige Cocktails verlieren nach Jahren deutlicher Zugewinne wieder an Zuspruch, wie Brokemper sagt. Dagegen legen Champagner, Crémant und Prosecco zu. «Die Entwicklung hin zu Premiumprodukten und Spezialitäten kommt uns als Unternehmensgruppe sehr entgegen.» Die Henkell-Gruppe geht davon aus, dass die Grundweinpreise stabil bleiben. «In diesem Jahr konnte in Europa eine gute Ernte mit hervorragenden Qualitäten eingefahren werden», sagt Brokemper.
Insgesamt blickt die deutsche Sektbranche zufrieden auf das Jahr 2015 zurück - obwohl der Absatz stagniert. Bis einschließlich Oktober verzeichnete die Branche ein Absatzminus von 0,1 Prozent, wie der Geschäftsführer des Deutschen Sektverbandes, Ralf Peter Müller, sagt. «Die Hauptabsatzzeit liegt ja noch vor uns, so dass ich für das Gesamtjahr mit einer schwarzen Null rechne.» In 2014 war der Absatz des Schaumweins nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 1,5 Prozent auf 317 Millionen Liter zurückgegangen. Laut des Marktforschungsinstituts Nielsen lag der Jahresumsatz zuletzt bei rund 1,3 Milliarden Euro. Jeder Deutsche zahlte damit im Jahr rund 16 Euro für Sekt oder Champagner.
In das Jahr 2016 würden die Kellereien laut Müller zuversichtlich starten. «Es gibt keine Anzeichen für eine wirtschaftliche Eintrübung. Wir haben viele Anlässe, anzustoßen», sagt er. Gerade alkoholfreier Sekt trete immer mehr aus seiner Nische heraus und habe inzwischen mit einem Absatz von rund zehn Millionen Flaschen einen Marktanteil von etwa drei Prozent erreicht. «Da steckt in jedem Fall noch Potenzial drin», prognostiziert Müller und verweist auch auf die wachsende Zahl von Muslimen in Deutschland, die aus religiösen Gründen auf Alkohol verzichten.
Die Nachfrage nach alkoholfreiem Sekt ist auch bei der Sektkellerei Schloss Wachenheim AG ungebrochen, wie der Vorstandssprecher Wilhelm Seiler sagt. «Ich bin mir sicher, dass dieser Trend auch weiterhin anhalten wird.» Auch Mischgetränke wie etwa Hugo oder Spritz seien beliebt. Seiler will erkannt haben, dass die Kunden gerade an Weihnachten und zum Jahreswechsel bei Sekt zu höheren Qualitäten greifen.
Dass der Markt für alkoholfreien Sekt wächst, sagt auch Peter Claußen von Rotkäppchen-Mumm. Prickelnder Alkoholfrei, so nennen ihn die Experten, werde immer bekannter und akzeptierter. Nach Angaben von Rotkäppchen-Mumm hat ihr Alkoholfreier im April 2015 zum ersten Mal die Marktführerschaft in Deutschland übernommen, im Jahr zuvor wurden 5,2 Millionen Flaschen verkauft.
Ob alkoholisch oder nicht - das Angebot für Sekt wandelt sich genauso wie die Bedürfnisse der Käufer: «Viele Menschen haben weniger Zeit, es gibt weniger festliche Anlässe», sagt Claußen. Lange geplante Geburtstagsfeiern etwa - ein klassischer Anlass für Sekt - seien seltener geworden, spontane Treffen häufiger. Doch in der Silvesternacht sei der prickelnde Schaumwein weiterhin das beliebteste Getränk in Deutschland. dpa