Mit der Entalkoholisierung des Weins verändert sich das Geschmacksbild und Aromaprofil eines Weines. Da Alkohol ein sehr guter Aromenträger ist, verflüchtigen sich bei der Destillation mehr als nur die Umdrehungen.
Jetzt soll die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn gemeinsam mit dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband e.V. als Leadpartner und über dreißig Partnern der Weinwirtschaft zu innovativen Produkten mit verringertem Alkoholgehalt im Segment Wein forschen, Vermarktungschancen untersuchen und neue Zielgruppen erschließen.
Das Projekt ist ein Vorhaben des Maßnahmen- und Entwicklungsplans Ländlicher Raum Baden-Württemberg 2014 bis 2020 (MEPL III) und wird mit ca. einer dreiviertel Million Euro gefördert. „Gerade für die Region Heilbronn-Franken, die stark vom Weinbau geprägt ist, könnte die Frage nach alkoholfreien Weinen entscheidend für die Zukunft sein“, weiß Prof. Dr. Günter Käßer-Pawelka, wissenschaftlicher Leiter des Strukturförderprojektes.
Die Zielgruppe sei größer als man denkt: „Nicht nur Schwangere suchen nach alkoholfreien Alternativen, sondern viele Menschen wollen auch aus gesundheitlichen oder religiösen Gründen auf Alkohol verzichten“, so Käßer-Pawelka weiter. Das zeigt sich am Erfolg der alkoholfreien Biere, die inzwischen acht Prozent des deutschen Biermarkts ausmachen.
Gerade gesundheitsbewusste Genussmenschen suchen nach alkoholfreien Alternativen auf dem Markt. Laut Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse gab es im Jahr 2019 20,71 Millionen Menschen in Deutschland, die sehr auf ihre Gesundheit achten. Das sind 1,18 Millionen mehr als noch vier Jahre zuvor und rund ein Viertel aller Deutschen.
Aromen verflüchtigen sich mit dem Alkohol
Grund genug, sich mit neuen Techniken zur Herstellung möglichst schmackhafter Weine ohne oder mit wenig Alkohol auseinanderzusetzen. Dabei spielt die Rebsorte durchaus auch eine wichtige Rolle: Rebsorten wie etwa Riesling, Cabernet Sauvignon, Merlot und Muskattrollinger lassen es eher zu, dass viele Aromen bei der Entalkoholisierung erhalten bleiben. Andere wie etwa Weißburgunder, Dornfelder, Schwarzriesling reagieren aufgrund ihrer natürlichen Aromenvielfalt empfindlicher.
Die am Forschungsprojekt beteiligten Kellereien, Weingüter und Winzergenossenschaften haben schon erste alkoholfreie oder alkoholreduzierte Weine hergestellt – bislang ist deren Anteil am Gesamtmarkt aber überschaubar. „Das Problem ist, dass bei der Entalkoholisierung etwa 20 Prozent der Aromen verloren gehen“, erklärt Dr. Cornelia Klug, Leiterin der Labore an der DHBW Heilbronn und des sensorischen Parts des Forschungsvorhabens. In vielen Fällen gehe dem Wein die Dichtigkeit, Viskosität und der Körper verloren – kurz: Nur wenige alkoholfreie Produkte erinnern den Verbraucher an das alkoholhaltige Pendant.
Dabei wird in den Entalkoholisierungsanlagen der Alkohol recht schonend entzogen. Eines der heute genutzten Verfahren geht auf den Rheingauer Winzer Carl Jung zurück, der vor über 100 Jahren auf die Idee kam, seinem Wein bei großem Unterdruck den Alkohol zu entziehen. Je niedriger der Druck bei der Entalkoholisierung, desto niedriger der Siedepunkt des Alkohols. So verdampft der Alkohol bereits bei ca. 28-30 Grad; trotzdem gehen auch bei diesen Temperaturen Aromen verloren.
Expertenpanel definiert Aromen des alkoholfreien Weins
Probiert haben sie und ihre eigens für dieses Projekt geschulten 30 Sensorikexpert*innen 25 am Markt erhältliche, alkoholfreie Weine. „Wir haben schnell festgestellt, dass wir zur objektiven Beschreibung der Aromen alkoholfreier Weine mit dem klassischen Weinaromenrad nicht weit kommen“, so Klug. Das Weinaromenrad ist ein vom Deutschen Weininstitut für Verbraucher entwickeltes Hilfsmittel zur sensorischen Beschreibung von Aromen, aber eben für alkoholhaltige Weine. Für alkoholfreie Weine gibt es bislang noch keines. Klug und ihr Team haben daher kurzerhand selbst eines entwickelt. „Im Aromenrad für entalkoholisierte Weine hat sich im Vergleich zum herkömmlichen die Aufteilung geändert“, erklärt Klug. „Wir haben nur Attribute mit aufgenommen, die bei der Verkostung der 25 Weine tatsächlich beschrieben wurden. Ganz deutlich ist zu sehen, dass die insgesamt 45 identifizierten Aromen ganz anders gewichtet werden als im alkoholhaltigen Bereich.“ Ein Beispiel: Dominant sind bei einem typischen Riesling die Aromen Apfel, Pfirsich, Aprikose, Orange, Grapefruit, Quitte, Ananas und Mango. Weine aus vollreifem Lesegut weisen oft noch ein saftiges Pfirsicharoma auf. Nach der Entalkoholisierung beschrieb das Expertenpanel der DHBW Heilbronn besonders häufig, dass die Dominanz beim Riesling auf das sogenannte „Vegetabile“ fällt, wie etwa grüner Paprika oder grünes Gras.
Erstes Weinaromenrad für alkoholfreie Weine: neue Gewichtung der Attribute
Auf dem Weinaromenrad wird zunächst zwischen Geruch und Geschmack unterschieden. Der innerste Kreis bei den Gerüchen unterteilt sich in acht grobe Geruchsklassen (z.B. floral, mikrobiologisch, erdig, vegetabil, fruchtig). Der Geruch wird in den mittleren und äußeren Kreisen weiter spezifiziert und kann zuletzt einem konkreten Aroma zugeordnet werden. Zum Beispiel kann ein Wein fruchtig riechen, eher fruchtig-beerig und dann konkret nach Brombeere oder schwarzer Johannisbeere. Oder zunächst blumig und in der Spezifikation dann nach Rose, Lilie oder Veilchen. Ergänzt wird der Geruch durch den Geschmack. Zunge und Rachenraum können nur fünf verschiedene Geschmacksrichtungen wahrnehmen: süß, sauer, salzig, bitter und umami (herzhaft, würzig). Bei der Weinverkostung beschreiben die Sensorik-Experten beispielsweise das Verhältnis von Säure oder Süße, das als Harmonie eines Weines bezeichnet wird. Herausschmecken lässt sich auch die Adstringenz, das heißt die Fähigkeit eines Weines, ein raues, pelziges Mundgefühl zu verursachen. Dieser Geschmack wird durch den Trigeminusnerv stimuliert, der Gesicht, Mundhöhle und Kaumuskel durchzieht und ganz typisch für den Genuss von Alkohol ist. Alkohol wirkt aber auch auf andere Weise im Mund: Geschmacksnerven werden ungleichmäßig betäubt und die Säurewahrnehmung wird unterdrückt. Konkret bedeutet das, dass alkoholfreie Weine bei gleichem pH-Wert saurer schmecken, weil die Säure ohne Alkohol deutlich besser wahrgenommen werden kann.
Alkoholfreie Weine als eigenständiges Getränk
Schon beim alkoholhaltigen Wein ist es kein leichtes Vorhaben, den Geschmack und die Aromen eines Weines zu kontrollieren. Der Geschmack des Weines beruht auf der Qualität der Weintrauben und dem Wissen des Kellermeisters. Ist die Oechsle-Zahl des Mostes beispielsweise zu hoch, werden die Weine schwer und verlieren ihre Raffinesse und Spritzigkeit. Beim alkoholfreien Wein wird es dadurch noch schwieriger, den Geschmack zu steuern. Wird der Alkohol entzogen, gehen einzelne Duftstoffe verloren. Nicht nur diejenigen, die der Alkohol transportiert und verstärkt, auch der Alkohol selbst steuert einen Geruch bei, der an Vanille erinnert. „Die übrigen Duftkomponenten nehmen wir zudem schwächer wahr“, beschreibt Klug das Dilemma.
Um dem entalkoholisierten Wein wieder den typischen Weingeschmack einzuhauchen, arbeiten die Winzer mit natürlichen Hilfsmitteln wie etwa Kohlensäure. Diese löst etwas schwächer als Alkohol einen trigeminalen Reiz aus, der den dreigliedrigen Gesichtsnerv stimuliert. Gerade im Sektbereich funktioniert die Kohlensäure als ganz guter Ersatz. Mit der Zugabe von Tannin soll das rauchige Holzaroma eines Barrique-Weins nachgeahmt werden. Die Winzer wollen damit näher an den Originalgeschmack herankommen. Teilweise mit Erfolg, findet Klug: „Einige alkoholfreie Weine sind sensorisch dem echten Wein sehr ähnlich.“ Dennoch bleibe die Frage offen, ob alkoholfreier Wein überhaupt genauso schmecken müsse wie alkoholfreier Wein oder sich nicht zu einem eigenständigen Getränk entwickeln könne.
Marktpotenzial für alkoholreduzierte Weine
Generell existiert im EU-Recht in Bezug auf die alkoholreduzierten Weine zwischen vier und achteinhalb Prozent noch ein Vakuum: „Bislang gibt es in Deutschland für Weine, die diesen Alkoholgehalt aufweisen, noch keine rechtliche Grundlage. Damit dürfen sie auch nicht als Wein verkauft werden“, erklärt Käßer-Pawelka. Dabei sei gerade dieses Feld aus Forschungssicht besonders interessant: „Mit einem geringen Alkoholgehalt lassen sich bei den heutigen Praktiken deutlich mehr Aromen als beim alkoholfreien Wein transportieren“. Auch Klug ist sich sicher, dass hier noch Nachholbedarf besteht: „Mit unserer Studie wollen wir auch dazu beitragen, Daten für eine rechtliche Grundlage im Segment des leichten Weins vorzulegen“.