EHEC an Sprossen nachgewiesen

Auslöser der EHEC-Epidemie sind mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die bereits verdächtigten Sprossen. An diesem Gemüse wurden erstmals Bakterien des aggressiven Typs O104 entdeckt, wie das nordrhein-westfälische Verbraucherschutzministerium am Freitag mitteilte. Bundesweit hat der Darmkeim bislang mindestens 31 Menschen getötet.

Die Sprossen in NRW stammten nach den bisherigen Erkenntnissen aus dem unter Verdacht stehenden Betrieb im niedersächsischen Bienenbüttel, erklärte das Ministerium. Untersucht wurde eine geöffnete Packung aus der Mülltonne eines Haushalts in der Nähe von Bonn. Zwei der drei dort wohnenden Familienmitglieder hätten Sprossen gegessen und seien Mitte Mai an EHEC erkrankt.

Damit sei erstmals eine ununterbrochene Kette zwischen infizierten Sprossen aus dem Betrieb in Bienenbüttel und erkrankten Personen nachgewiesen, teilte das Ministerium mit.

Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Reinhard Burger, hatte zuvor in Berlin jüngste Ermittlungsergebnisse vorgestellt, die den Verdacht auf Sprossen erhärteten.

Tomaten, Gurken und Blattsalate könnten aber nun wieder ohne Bedenken gegessen werden, betonte Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Sie seien schließlich gesund. Die Warnung vor rohen Sprossen bleibt dagegen bestehen.

Vor dem Verzehr roher Salatgurken, Tomaten und Blattsalate «insbesondere in Norddeutschland» hatten RKI und BfR am 25. Mai gewarnt. Grundlage dafür waren Patientenbefragungen.

«Wir sind ein Stück weit erleichtert», sagte Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU). Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) betonte nach der Beschränkung auf Sprossen, für die Bürger sei jetzt klarer, wie sie sich schützen könnten. Ähnlich äußerte sich der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar John Dalli in Brüssel. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner sagte dem Fernsehsender N24: «Das ist heute eine gute Botschaft für die deutschen und europäischen Gemüseerzeuger.»

EHEC-Entwarnung könne noch nicht gegeben werden, erklärte Bahr. Die Zahl der Neuerkrankungen sei aber deutlich rückläufig. Die Lage in vielen Krankenhäusern normalisiere sich sicherlich wieder. RKI-Chef Burger schränkte ein: «Der Ausbruch ist noch nicht vorbei.»

Der Hof in Bienenbüttel im Kreis Uelzen, der seit vergangenem Sonntag im Fokus der Öffentlichkeit steht, ist inzwischen komplett gesperrt und darf kein Gemüse mehr in den Handel liefern. Bisher galt das Verkaufsverbot nur für Sprossen. Der Betrieb sei nun definitiv als Hauptauslöser für die Erkrankungswelle ausgemacht worden, sagte Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU).

Nach den EHEC-Fällen bei einer Kasseler Cateringfirma verfolgen die Behörden in Nordhessen eine neue Spur. «Es besteht die Möglichkeit, dass sich Mitarbeiter zunächst selbst infiziert und danach den Keim wieder auf Lebensmittel übertragen haben», sagte Markus Schimmelpfennig vom Gesundheitsamt der Stadt der dpa. Die im Kreis Kassel ansässige Firma hatte eine Familienfeier im Landkreis Göttingen beliefert. Fünf der rund 70 Gäste mussten laut niedersächsischem Gesundheitsministerium im Krankenhaus behandelt werden. Die Catering-Firma habe keine Sprossen ausgeliefert.

EHEC ist für ein Viertel der Bevölkerung in dieser Woche das wichtigste Problem in Deutschland, wie eine repräsentative Umfrage für das ZDF-«Politbarometer» ergab. Knapp ein Drittel (32 Prozent) der Befragten hält die eigene Gesundheit durch den Darmkeim für gefährdet, zwei Drittel (67 Prozent) sehen das nicht so.

Die Entwarnung für Gurken und Co platzte mitten in eine Aktion von Gemüsebauern und Händlern in Hamburg. Sie verschenkten in der Innenstadt tonnenweise Gemüse, um auf ihre drastischen Einbußen wegen der EHEC-Epidemie aufmerksam zu machen. Mitorganisator Jens Elvers berichtete anschließend: «Das hat sich so doll verbreitet, dass die Leute uns das Gemüse dann tütenweise aus der Hand gerissen haben.»

Laut Bauernpräsident Sonnleitner belaufen sich die Verluste für Gemüsebauern bei den drei Produkten Gurken, Tomaten und Salat bundesweit auf rund 65 Millionen Euro. Auf europäischer Ebene seien es bis zu 600 Millionen Euro.

Russland will die Einfuhr von Gemüse aus den 27 EU-Staaten nur mit einer Sicherheitsgarantie wieder erlauben. Kremlchef Dmitri Medwedew und die Spitze der EU-Kommission verständigten sich auf ihrem Gipfel in Nischni Nowgorod auf das weitere Vorgehen. Demnach sollen einzelne Gemüsesorten dann eingeführt werden dürfen, wenn ein Labor sie speziell auf EHEC testet und entsprechend auszeichnet.

Spanische Gurken als EHEC-Träger hatte die Hamburger Gesundheitsbehörde öffentlich bekanntgemacht - später stellte sich allerdings heraus, dass es sich dabei um einen anderen Erregertyp handelte. Rechtsanwältin Sabine Pellens teilte mit, dass mit Frunet nun der erste spanische Obst- und Gemüsehändler vor Gericht zieht. Sie hatte beim Verwaltungsgericht der Hansestadt Eilantrag auf Akteneinsicht eingereicht, um angebliche Schlamperei der Hamburger zu belegen. Am Ende könnte es um Schadenersatz in Millionenhöhe gehen. dpa

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Neues RKI-Verfahren führte zum Erfolg

Um die EHEC-Quelle zu finden, hat das Robert Koch-Institut (RKI) unter anderem ein neues Verfahren eingesetzt: eine sogenannte rezeptbasierte Restaurant-Kohortenstudie.

Ausgehend von fünf Personengruppen, von denen 19 Teilnehmer nach einem Besuch im selben Restaurant erkrankten, befragten die Froscher insgesamt 112 Menschen, was diese verzehrt hatten.

Zugleich schauten sich die Experten Rezepte, Bestelllisten sowie Abrechnungen an und sprachen mit Küchenpersonal, um herauszufinden: Wie genau wurde welches Menü zubereitet, welche Mengen welcher Zutat waren darin enthalten?

Auch Fotos der Befragten beim Essen wurden nach RKI-Angaben ausgewertet, von denen einige die Teller der späteren Patienten zeigen - mit allen Zutaten samt Garnierung.

Diese Informationen wurden in einem sogenannten Kohortenansatz ausgewertet, der es ermöglicht, rückblickend das relative Erkrankungsrisiko für die Restaurantkunden zu berechnen. Die Analyse ergab: Die Wahrscheinlichkeit für blutigen Durchfall oder bestätigte EHEC/HUS-Infektionen lag nach Sprossenverzehr etwa 8,6-mal höher als bei Verzicht.

Mit diesem Verfahren war es dem RKI zufolge erstmals möglich, auf epidemiologischem Wege die Ursache des Ausbruchs mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Verzehr von Sprossen einzugrenzen.

Die rezeptbasierte Restaurant-Kohortenstudie konnte erst jetzt durchgeführt werden, weil dafür eine ausreichende Kundenanzahl nötig war, um ein statistisch einwandfreies Ergebnis zu gewährleisten. dpa