Neue Weinberge in NRW Vom Acker bis zur Zeche

 Im Siebengebirge in der Nähe von Bonn ist eigentlich Schluss. Bis dahin erstreckt sich das Weinbaugebiet Mittelrhein mit seinem milden Klima und den sonnenreichen Hanglagen. Es steht mit den zwölf weiteren deutschen Anbaugebieten für Qualitätswein. Wo sonst sollte also in Nordrhein-Westfalen Wein angebaut werden? In Westfalen und dem Siegerland zum Beispiel. Dort sind die noch jungen Weinberge Bestandteil von Projekten, die der Klimaerwärmung folgen und deren Pflege sozialen Zwecken dient. Der Trend zu regionalen Produkten beschert sowohl den alteingesessen Profis als auch den Neulingen eine rege Nachfrage von Verbrauchern.

«Viele Leute schütteln erst mal den Kopf», schildert Geschäftsführer Alexander Reichenau. In Hilchenbach nördlich von Siegen, das eine Nachbarstadt von Kreuztal mit der Großbrauerei Krombach ist, stehen 1500 Rebstöcke auf einer ehemaligen Weide. Gepflanzt wurden sie in den vergangenen beiden Jahren von benachteiligten Jugendlichen, denen die gemeinnützigen GmbH Lagano Ausbildungsplätze im Gartenbau bietet. Am Anfang hatte einer von ihnen den Berufswunsch Winzer im Kopf. Für die Ausbildung konnte er an ein Weingut in Rheinland-Pfalz vermittelt werden, wie Reichenau erzählt. Gleichzeitig begann aber auch die Suche nach einem geeigneten Grundstück für einen Weinberg im Ort.

Der junge Mann hat inzwischen den Winzer-Abschluss in der Tasche, und die Rebstöcke in Hilchenbach haben schon erste Trauben getragen. «Wir haben ein positives Echo aus der Region», erzählt Reichenau. Sowohl einige Firmen als auch Privatleute hätten bereits angefragt, ob sie denn für den ersten Wein vorgemerkt werden könnten. Mit der ersten richtigen Ernte rechnet er im kommenden Jahr. Um das Weinprojekt und damit ein Betätigungsfeld für die betreuten Jugendlichen langfristig zu sichern, setzt er auch auf Rebstock-Patenschaften. Das Unternehmen beschäftigt vier Jugendliche im Bereich Gartenbau und weitere vier in den Bereichen Hauswirtschaft und Büro. «Der Weinberg ist nicht die alleinige Arbeit, aber immer mal wieder Arbeit für ein, zwei Wochen.»

Rund 100 Kilometer nördlich, in Dortmund, hat die Emschergenossenschaft am Phoenix-See 2012 einen Weinberg mit knapp 100 Rebstöcken angelegt. Auf dem früheren Stahlwerksareal wächst nun Weißwein. Der Erlös kommt einem integrativen Segelprojekt zugute, erklärt Unternehmenssprecher Ilias Abawi. 2018 kam in Dortmund ein zweiter Weinberg mit über 300 Reben nahe des Rüpingsbachs hinzu. Mitmachen und Patenschaften sind hier möglich. «Das ist das, was bei den Menschen sehr gut ankommt: das Regionale.» Der Weinbau stehe auch für neue Lebensqualität an der früheren Kloake Emscher, die von Altlasten befreit und renaturiert wird. Da immer mehr Menschen die Natur und Mitmach-Projekte suchten, «könnte ich wetten, dass das nicht der letzte Weinberg gewesen ist», sagt Abawi. «Wir bewegen uns mit dem Weinbau immer weiter.»

Zum professionellen Weinbau im Haupterwerb werden bisher vier Betriebe in NRW gezählt, die insgesamt rund 20 Hektar im Siebengebirge bewirtschaften. Das geht aus Daten der Landwirtschaftskammer hervor. Hinzu kommen Dutzende Hobbywinzer: Bis 1000 Quadratmeter, auf denen sich bis zu 700 Reben pflanzen lassen, gilt der Weinanbau als Hobby und damit als genehmigungsfrei. Das aber unter den Auflagen, dass keine gewerbliche Tätigkeit vorliegt und der Wein nur im eigenen Haushalt und nicht auf Festen ausgeschenkt wird, wie Kammersprecher Bernhard Rüb erläutert.

Das Interesse am Weinbau wächst, Rüb spricht sogar von einer bisher so nicht gekannten Dynamik. 2020 ist erstmals die Obergrenze für zusätzliche Weinbauflächen von fünf Hektar pro Jahr in NRW nahezu ausgeschöpft worden, die seit 2016 gilt. Unter den erfolgreichen Antragstellern war nach Beobachtung der Kammer der eine oder andere Landwirt, der neben Getreide, Zuckerrüben und Kartoffeln auch Wein anbauen will. Zur bunten Weinbau-Landschaft in NRW zählen auch Rebstöcke am stillgelegten Bergbauschacht in Hünxe am Niederrhein.

Historisch war der Weinbau seit der Römerzeit im Rheinland weit verbreitet, beispielsweise auch in Köln. «Erst hat um die vorletzte Jahrhundertwende die Reblaus zahlreiche Betriebe zur Aufgabe gezwungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben dann Kölsch und Alt den Wein als dominierendes Getränk bei Festen abgelöst», sagt Rüb.

Steilhanglage zwischen Rhein und dem mächtigen Drachenfels. Mit diesen Bildern kann das Weingut Pieper in Königswinter werben, das das größte mit über neun Hektar Anbaufläche in NRW ist. Der Vinum Weinguide zeichnete es jüngst als «Aufsteiger des Jahres» der Region Mittelrhein aus. Junior-Chef Felix Pieper will in diesem Jahr mit einer Initiative des Rhein-Sieg-Kreises einen etwa 2500 Quadratmeter großen Weinberg in der Nähe rekultivieren, der Jahrzehnte lang brachlag. Der Klimawandel mit Trockenheit spielt dabei eine Rolle: «Das ist ein Thema, was uns stark beschäftigt.» Bei der Reben-Auswahl müsse gut abgewogen werden, was zukunftsfähig und ertragsstark ist. dpa

Hintergrund: Landwirtschaftskammer erwartet steigende Zahl an Weinbaubetrieben

Die Landwirtschaftskammer geht von einer steigenden Zahl an Weinbaubetrieben in Nordrhein-Westfalen aus. «Der Klimawandel eröffnet neue Perspektiven für den professionellen Weinbau in NRW», sagte der Sprecher der Landwirtschaftskammer, Bernhard Rüb. Mit mehr Sonne und steigenden Durchschnittstemperaturen rückten neue Standorte in den Fokus. Hinzu komme der Verbrauchertrend zu regionalen Produkten, die direkt ab dem Hof verkauft werden. Das mache auch lange Zeit brachliegende Standorte wieder attraktiv.

Nach Beobachtung der Landwirtschaftskammer ist der professionelle Weinbau inzwischen auch für einzelne Landwirte oder Obstbauern als zweites Standbein interessant geworden. «Zum ersten Mal sind 2020 die Pflanzrechte für zusätzliche Anbauflächen in NRW fast ausgeschöpft worden», erläuterte Rüb. Dabei handelt es sich um 4,88 Hektar, für die die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung Pflanzrechte in NRW vergeben hat. Laut der 2016 eingeführten Regelung sind bis zu fünf Hektar Zusatzfläche pro Jahr in Nordrhein-Westfalen möglich.

Der professionelle Weinbau ist in NRW bisher auf das Siebengebirge mit seinem Vulkangestein und seinen Steilhanglagen am Rhein südlich von Bonn beschränkt. Vier Betriebe bewirtschaften hier laut der Landwirtschaftskammer insgesamt rund 20 Hektar Rebflächen. Hinzu kommen Dutzende Hobbywinzer. Diese kleineren Flächen sind den Angaben zufolge unter anderem auch am Niederrhein und in Ostwestfalen zu finden. Die Landwirtschaftskammer ist in NRW für die Überwachung der Gesetze und Verordnungen zuständig, die es europaweit für Wein gibt. dpa