Türkei ist ein Weinland für Entdecker

Auf der internationalen Fachmesse ProWein (noch bis 29. März) in Düsseldorf präsentiert sich das Land als Nation mit großer Weinbautradition - die den meisten Menschen aus Mitteleuropa aber allenfalls im Urlaub begegnet sein dürfte. «Die Qualität hat sich in den vergangenen Jahren enorm gesteigert», urteilt der Master-Sommelier Hendrik Thoma. «Jetzt ist man dort dabei, unverwechselbare Weine zu machen.»

Die Türkei ist dem Produzentenverband Wines of Turkey zufolge hinter Spanien, Italien und Frankreich das viertgrößte Weinbauland. Die türkische Bevölkerung trinkt allerdings eher wenig Wein: Knapp ein Liter pro Jahr und pro Kopf sind es gerade mal. Außerdem werden aus den Trauben nur rund 250 000 Hektoliter Wein gewonnen - der weitaus größere Rest wird als Tafeltraube und Rosine vermarktet. Zum Vergleich: Deutschland produziert in guten Jahren durchschnittlich neun Millionen Hektoliter Wein, so das Deutsche Weininstitut.

Schon im vierten Jahrtausend vor Christus hat es kultivierte Rebflächen in Anatolien und an der Küste des Kaspischen Meeres gegeben, erläutert der türkische Produzentenverband. Mehr als 1000 autochthone, also lokale Rebsorten seien bekannt. Doch durch die Islamisierung des Landes und das damit verbundene Alkoholverbot musste der Weinbau im achten Jahrhundert Einschnitte hinnehmen. Erst unter dem als Weinliebhaber bekannten Gründervater der türkischen Republik, Kemal Atatürk, begann die Zeit des modernen Weinbaus.

Heute wird jede fünfte im Land produzierte Flasche nach Deutschland importiert. «Die Türkei ist ein Weinland mit großer Historie - auch wenn man sie neu interpretieren muss», sagt Thoma. «Auch für mich sind das ganz neue Eindrücke.»

Emir zum Beispiel ist eine autochthone Sorte, die nach Angaben des Produzentenverbandes vor allem in Zentralanatolien angebaut wird, wo sie schroffe Winter ertragen muss. Neben trockenen Weißweinen gewinnt man aus ihr auch gern Schaumweine. Ihr Rebsaft habe «ein reifes Birnenaroma» und sei nicht zu säurebetont, sagt Thoma. Eine «wunderschöne, frische Prägung» findet er in Weinen aus der weißen Narince-Traube, denen er ein Mandarinen-Bouquet zuschreibt.

Schon den Hethitern im Jahr 2000 vor Christus bekannt war die heute noch angebaute Rebsorte Kalecik Karasi. Sie ist eine der am meisten verbreiteten Rebsorten und wird vorwiegend in Zentral- und Westanatolien angebaut, erläutert der Produzentenverband. Hendrik Thoma beschreibt den daraus gewonnenen hellen Rotwein als floral und «ein bisschen süffig». Er erinnere an Pinot noir. «Kalecik Karasi passt für mich extrem gut zur türkischen Küche

Zu seiner türkischen Lieblingsrebsorte kürt der Sommelier die großtraubige, sehr fleischige und saftige Öküzgözü. Der Name bedeutet übersetzt «Ochsenauge». Der daraus erzeugte Wein sei nicht schwer, sondern lebe von der Frucht. «Er erinnert mich an Zinfandel aus Kalifornien oder Primitivo aus Apulien», sagt Thoma. «Nichts für Feiglinge» sei dagegen die vornehmlich in Ostanatolien angebaute Sorte Bogazkere. Aufgrund ihres hohen Gerbstoffgehalts handele sich dabei um einen sehr kraftvollen, würzigen und tiefen «Halskratzer». Weil das manchem doch zu viel ist, würden Bogazkere und Öküzgözü oft als «Blend» angeboten.

Zwar werden in der Türkei auch anderswo verbreitete Sorten wie Chardonnay und Sauvignon blanc angebaut und getrunken. Doch Fachleute wie Thomas Sommelier-Kollege Frank Kämmer aus Waiblingen sind der Ansicht, dass in den autochthonen Sorten viel mehr Chancen für das Land stecken. «Vielleicht sind manche türkischen Rebsorten für unseren Geschmack etwas rustikal», sagt er. Aber sie seien sehr balanciert und machten nicht den Eindruck, dass sie aus heißen Anbaugebieten stammen - obwohl genau das der Fall ist.

Noch ein Land, das internationale Sorten anbaut, brauche die Welt nicht, sagt Kämmer. Lieber sei ihm eines, das heimische Weine auf eine mediterrane, über die Landesgrenze hinaus geschätzte Küche abstimmt. Und das könnte dem neuen, alten Weinland Türkei allemal gelingen. (Nina C. Zimmermann, dpa)