Von Philip Dethlefs
Die riesige, offene Küche ist das erste, was Besucher zu sehen bekommen, wenn sie das hippe «Jamie Oliver Headquarter» im Londoner Stadtteil Islington betreten. Das geräumige Hauptquartier des britischen Starkochs ist ein lässiges Start-up-Büro mit offenen Sitzgelegenheiten, mehreren Küchen und TV-Studios. Am Herd dampft es schon ein wenig, aber man riecht noch nichts. Vielleicht italienisch?
In seinem neuen Kochbuch «Jamie kocht Italien» widmet sich der 43-Jährige Spaghetti und Focaccia. Die italienische Küche begleitet Oliver seit den Anfängen seiner Karriere, die im Londoner Restaurant des Einwanderers Antonio Carluccio im schicken Shoppingbezirk Covent Garden begann. Bis zum Tod des Italieners vor einem Jahr waren die Männer sehr gut befreundet. Aus der Zeit im «Carluccio's» rührt auch die enge Freundschaft mit seinem einstigen Mentor Gennaro Contaldo.
«Seine Gerichte haben diesen bestimmten Geschmack», lobt Oliver den väterlichen Freund. «Ich kann dasselbe Rezept kochen, es würde nie so schmecken.» Mit dem 69 Jahre alten Italiener reiste Oliver in dessen Heimatland, um die traditionellen Rezepte der Mütter und Großmütter zu erkunden, der sogenannten Nonnas, «die nicht mit Mikrowellen, Gas, Elektrizität, Kühlschränken, Eisfächern und Supermärkten aufgewachsen sind». Eine «gewaltige Lernerfahrung» sei das gewesen, erzählt Oliver im Gespräch.
Diese Frauen, manche an die 90 Jahre alt, hätten «unglaubliches Wissen». Oliver will es bewahren und weitergeben. Dabei geht es ihm nicht nur um leckere Gerichte, sondern auch um den gesellschaftlichen Mehrwert. «Wenn wir die Zeitung aufschlagen, in Deutschland oder in England, geht die Diskussion um Gesundheit, Ernährung, Lebensmittelsicherheit, Abfall, Umwelt», sagt er, «das sind große Themen. Und die Nonnas waren die Meisterinnen darin.»
«Sie hatten all die Antworten», schwärmt Oliver, der sich seit Jahren für bessere Standards in Sachen Ernährung einsetzt. Besonders eine Frage treibt ihn dabei an: «Wie können wir das Kochen am Leben halten?» Sein Lösungsansatz beginnt schon in der Kindheit. Seit Jahren macht er sich für eine bessere Ernährung an britischen Schulen stark und fordert, dass dort das Kochen gelehrt wird.
Dass viele Kinder weder zu Hause noch in der Schule kochen lernen, sieht der TV-Star als wesentliche Ursache für ungesunde Ernährung. «Die Sprache des Kochens, das Selbstvertrauen zu kochen und die Tatsache, dass das wie Atmen oder Gehen ist, ist verschwunden», beklagt er. Kochen sei heute nicht mehr selbstverständlich, sondern werde als Event gesehen. «Vieles, was ich mache, dreht sich darum, Menschen und besonders Schulkinder zu ermutigen, mehr zu kochen.»
Doch es ist ein zäher Kampf, bei dem soziale Faktoren eine gewichtige Rolle spielen. «Ich habe mich dafür eingesetzt, dass Kinder wenigstens 18 Stunden echten Kochunterricht in der Schule bekommen, das haben wir erreicht», berichtet der fünffache Familienvater, «aber sie haben nicht das Geld, um sich das Essen dafür zu kaufen. Wir haben also etwas erreicht und zugleich haben wir nichts erreicht.»
Trotzdem ist Jamie Oliver vorsichtig optimistisch. «Wir sehen, dass sich etwas verändert, dass Menschen ihre Essgewohnheiten umstellen», stellt er fest. «Wir sehen, dass Firmen sich besser verhalten und ihre Zutaten in Ordnung bringen, weniger Zusatzstoffe, mehr Obst und Gemüse, also moralisch deutlich bessere Produkte.»
Sorgen bereitet ihm der Brexit. «Ich weiß nicht, wie es werden wird, und das ist das Problem», sagt er mit Blick auf die Zeit nach Großbritanniens geplantem EU-Austritt am 29. März 2019. Besonders fürchtet Oliver um die guten internationalen Beziehungen in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie.
Er sei von Anfang an gegen den Austritt gewesen. «Aber entweder man glaubt an die Demokratie oder nicht», sagt er. «Wenn man daran glaubt, kann man das Referendum nicht ignorieren. Ich finde es zwar nicht ideal, ich bin sauer darüber und es ist mir peinlich. Aber das ist meine Sicht. Es gibt auch noch viele andere Leute da draußen.»
Auch beim Brexit bewahrt sich Oliver den Optimismus. «Ich denke schon, dass wir das positiv gestalten können», sagt er. «Aber die Frage ist, wie viele Jahre es holprig wird und wie holprig es wird.»
Mit seiner Kritik - ob am Brexit, an Schulküchen, Supermärkten oder der Lebensmitteletikettierung - eckt Oliver an. Dass er dafür in sozialen Medien häufig selbst scharf kritisiert wird, lässt ihn allerdings kalt, wie er sagt. «Twitter ist kein gutes Messinstrument. Nicht, dass ich das ignoriere, aber ich mache seit 20 Jahren genau dasselbe. Ich bin einfach nur konsequent. Doch was immer ich mache, egal ob es gut oder provokant ist, irgendeiner meldet sich immer. Die Leute meckern einfach gern. Daran hab ich mich gewöhnt.»
Fast 20 Jahre ist es her, dass Jamie Oliver vom britischen Sender BBC entdeckt wurde und mit der Sendung «The Naked Chef» eine erfolgreiche TV-Karriere begann. Dank seiner Kochbücher ist er heute zudem einer der erfolgreichsten Autoren in Großbritannien. «Absolut wahnsinnig» sei das - als Legastheniker. «Das geschriebene Wort war schon immer mein größter Feind», erzählt er. Der Gedanke, ein Buch zu schreiben, sei deshalb «Millionen Meilen weit entfernt» gewesen.
«Ich finde, das ist das Schöne am Leben: Ich hätte mir das hier alles nie träumen lassen», sagt Oliver zufrieden. Einen Nachteil hat der Erfolg allerdings. «Ganz ehrlich, ich glaube, in den letzten 20 Jahren haben nur fünf oder sechs Leute für mich gekocht», klagt er, «niemand lädt uns zu einem Abendessen ein! Echt schade.» dpa
Starkoch Jamie Oliver liebt die deutsche Küche
Der britische Starkoch und Autor Jamie Oliver (43) hat auch ein Faible für die deutsche Küche. «Ich liebe die Küche aus Niederbayern und dem Schwarzwald», sagte der Kochbuchautor («Jamie kocht Italien»). «Verdammte Knödel, Hackbällchen, Wildpilze und Bier - das ist deftig, aber wundervoll», schwärmte Oliver. «Und deutsche Nachspeisen gehören zu den besten auf der ganzen Welt.»
Der Unterschied zwischen der deutschen und der britischen Küche sei gar nicht so groß, meinte Oliver. «Die meisten guten, traditionellen deutschen Gerichte, die ich gegessen habe, unterscheiden sich kaum von dem Essen meiner Mutter und meiner Großmutter, mit dem ich aufgewachsen bin.»
In britischen Küchen hätten deutsche Köche schon immer einen guten Ruf genossen, sagte der Starkoch weiter, doch an Restaurants mit deutscher Küche mangelt es nach seiner Ansicht in Großbritannien. «Das würde ich in den nächsten fünf Jahren gern ändern», erklärte Oliver, der unter anderem eine Restaurantkette mit italienischem Essen betreibt. «Wir haben Spanisch, Französisch und Italienisch, wo sind die Deutschen? Ich glaube, da gibt es eine große Marktlücke.»