Mit 57.100 Hektar Rebfläche und 10,6 % der französischen Produktion ist das Weinbaugebiet Val de Loire die drittgrößte Wein- und die größte Weißweinregion Frankreichs. Die Weinstraße des Loiretals führt von der Atlantikmündung bis auf 800 km durch die Weinberge des Loiretals und ist entlang des Königsflusses mit beeindruckenden Schlössern und vielfältigen Weinlandschaften eine der schönsten und vielfältigsten überhaupt.
Die drei F der Loire
„Fruchtig/floral, frisch und fair“ sind die Adjektive, die die Weine der Loire auszeichnen. Anlässlich der Präsentation des neuen Jahrgangs, der „Millésime 2023“, haben wir in herrlichen Schlössern vor Flusslandschaft die Weine der Loire verkostet, über aktuelle Tendenzen gesprochen und Winzer:innen besucht. Die Loire verdient definitiv unsere Aufmerksamkeit - es reicht, genau hinzuschauen und die vielen kleinen Juwelen zu entdecken.
Nachhaltiger Weinbau: Die Loire der Zukunft
Weine aus biologischem Anbau nehmen in Bezug auf Anbaufläche und Umsatz stetig zu, obwohl sie teurer sind als die konventionellen Weine ihrer Klasse. Die Dachorganisation der Loire-Weine, InterLoire, strebt bis 2030 eine Umwelt-Zertifizierung von 100% der Flächen an - was die einzelnen Siegel beinhalten müssen, ist relativ weit gefasst: Neben strengen biodynamischen Zertifizierungen wie Demeter sind auch die staatliche HVE-Zertifizierung, Terra Vitis, BIO und viele andere nationale und regionale Label eingeschlossen. Ziel ist es, die Branche und die Regionen auf den Klimawandel, den ökologischen Wandel und die Erwartungen der französischen Gesellschaft an einen nachhaltigeren Weinbau vorzubereiten.
Lionel Gosseaume, Präsident InterLoire
„Alle Akteure im Loiretal sind von der Richtigkeit dieses Ansatzes genauso überzeugt wie die Verbraucher:innen und Kund:innen“ erklärt Pierre-Jean Sauvion von InterLoire. „Allerdings muss man viel vor Ort arbeiten und allen den Ansatz erklären.“ Lionel Gosseaume, Winzer und Präsident von Interloire ist deshalb permanent mit Akteur:innen des Loiretals, Winzer:innen, Händler:innen und Politiker:innen im Gespräch, um alle von der Notwendigkeit und den Herausforderungen dieses Zieles zu überzeugen.
„Die Nachbarn haben mich für verrückt erklärt“
Raphaël Midoir in der Grande Brosse
Dennoch scheint die Überzeugungsarbeit vor Ort noch nicht überall gefruchtet haben. „Als ich bei meinen ersten Flächen auf Bio-Weinbau umstieg, haben mich die Nachbarn für verrückt erklärt“ erzählt Raphael Midoir, Winzer mit Flächen in den AOCs Touraine und der noch relativ jungen, nur 35 Hektar großen Touraine Oisly. Von seinen 30 Hektar Rebfläche bewirtschaftet er aktuell 8 Hektar unter dem französischen Bio-Siegel „AB Agriculture biologique“. Bio-Wein ist 30-40% teurer, aber Midoir ist davon überzeugt, dass biologischer Anbau sich auch angesichts des Klimawandels langfristig lohnt, da die Wurzeln tiefer in die Erde wachsen und so besser Feuchtigkeit speichern können.
Petnat aus Tuffsteinstollen
Sébastien Brunet, Sarah Hwang, Julien Pinon
Sébastien Brunet übernahm 2007 die Weinberge seines Vaters in der AOC Vouvray und stieg direkt auf biologische Landwirtschaft um. Seine Weinberge, die sich auf 15 Hektar in den Gemeinden Vernou und Reugny verteilen, werden ohne Unkrautvernichtungsmittel oder Pestizide und rein mechanisch bearbeitet, die Trauben von Hand geerntet. In den für die Region typischen Tuffsteinstollen ("Troglos") aus dem 16. Jahrhundert, in denen vorher Champignons gezüchtet wurden, baut er seine Weine aus. Wir hatten das Glück, Le Naturel Pétillant Vouvray frisch degorgiert in den Höhlen zu probieren und konnten uns an der ganzen Kraft des Terroirs und einer Nase mit Aromen von weißfleischigen Früchten und Honig erfreuen – ein kraftvolles, knackiges Trinkerlebnis.
Neue Impulse durch Bio-Winzer:innen
Naturwein-Winzerin Ariane Lesné
Einen noch radikaleren Ansatz hat Ariane Lesné aus der kleinen AOC Coteaux du Vendômois gewählt: Sie produziert ausschließlich Naturweine, und nicht nur, weil sie die am liebsten mag: „Ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu tun - wenn man sich einmal auf natürliche Weine eingelassen hat, gibt es kein Zurück mehr. Das ist mein kleiner Beitrag zum Wohlergehen unserer geliebten Erde!“ Sie hat in den letzten Jahren einen deutlichen Paradigmenwechsel an der Loire festgestellt und freut sich, dass nicht mehr rein auf Masse produziert wird und Bio-Winter:innen mit neuen Fähigkeiten und Visionen sich an der Loire niedergelassen haben.
Probleme in trockenen Jahren
Einfach ist es nicht, denn ein großes Problem stellt die zunehmende, klimawandelbedingte Trockenheit dar - und das an der Loire, die immer durch viel Wasser und das berühmte cool climate begünstigt war. Auch wenn der Temperaturanstieg zu großartigen Cabernet Francs führen mag, lassen sich Trockenheitsprobleme nicht wegdiskutieren: „In trockenen Jahren haben wir immer mehr Probleme mit der Gärung und somit damit, natürliche Weine mit einheimischen Hefen herzustellen. Die Bakterien übernehmen die Führung, was zu Weinen mit Abweichungen führt“ erklärt Ariane Lesné. „Es wird immer schwieriger werden, schwefelfreie Weine zu produzieren, wenn wir zu wenig Wasser in den Weinbergen haben.“
Steigende Nachfrage
Aber obwohl sie mit ihrem kleinen Weingut nicht zu den großen Playern gehört und ihre sehr speziellen Naturweine durchaus polarisieren (ich liebe sie), bleibt sie optimistisch: „Dass sich Bioweine besser verkaufen, ist klar, aber die sogenannten "natürlichen" Weine sind immer noch eine Nische, die bei Fachleuten und vor allem bei den Exporteuren, die diese Art von Produkten stark nachfragen, sehr gut ankommt.“
Unsere Weinempfehlungen:
Côteaux-du-Vendômois, Ariane & Co, Ithybole
Vouvray, Domaine Sébastien Brunet, Renaissance
Touraine Oisly, Raphaël Midoir, La grande Brosse
Muscadet de Sèvres et Maine: Die „Crus Communaux“
In der Nähe der kühlen Atlantikküste wird im Gebiet um Nantes der Muscadet angebaut. Reinsortig aus Melon de Bourgogne gekeltert, ist der Muscadet als trockener, unkomplizierter Weißwein bekannt, der gut zu Meeresfrüchten und vor allem Austern passt. Um anspruchsvollen Weintrinker:innen eine hochwertige Qualität anzubieten, haben sich Winzer:innen der AOP Sèvre et Maine in den späten 1980er Jahren zusammengetan und die Crus Communaux geschaffen. Dieses Klassifizierungssystem fasst zehn der besten und charaktervollsten Unterregionen des Muscadet auf zweihundert Hektar Rebfläche und einhundert Winzern zusammen. Jeder Cru communal ist nach einem oder zwei Orten benannt, die Grenzen wurden nach bestimmten Bodentypen und Mikroklimata gezogen. Es kommen nur ertragsarme, alte Rebstöcke zum Einsatz, sie reifen mindestens achtzehn bis vierundzwanzig Monate auf der Hefe („sur lie“) und offenbaren ihre ganze Kraft und Komplexität oft erst mit der Reifung.
Melon de Bourgogne: Traube mit Potenzial
Bei der Verkostung waren wir erstaunt, welch großes Potenzial der Melon de Bourgogne in dieser Klassifizierung zeigt. Aufgrund einer Vielzahl von Mikroklimata - mehr am Meer oder am Fluss, sumpfiger oder trockener etc - und Böden variieren die Crus communaux in Nase und Geschmack immens. Alle Winzer:innen hatten die für sie typischen Steine zur Degustation ins Château de Blois mitgebracht, so dass wir die Weine so faszinierenden Böden wie den seltenen Gabbro, Gneis und Orthogneis sowie Schiefer und Granit zuordnen konnten. Zweifellos markieren die Crus communaux unter den Muscadets die Spitze und zählen insgesamt zu den großen Weinen der Loire.
Pierre-Jean Sauvion, Maison Lacheteau
Unsere Weinempfehlungen:
Muscadet Sèvre et Maine Le Pallet: Bedouet Vigneron 2020
Muscadet Sèvre et Maine Clisson: Château du Cleray 2018
Muscadet Sèvre et Maine Château-Thébaud: Famille Lieubeau 2018
Savennières: Die Spitze des Chenin Blanc
Gesa Noormann, Evelyne de Pontbriand von der Domaine du Closel
Wenn wir der Loire von Nantes aus flussaufwärts folgen, beginnt die großartige Region Savennières und mit ihr das Reich der autochthonen Loire-Rebsorte Chenin Blanc. Berühmt geworden ist Savennières mit einem der bedeutendsten und einflussreichsten Bio-Weine, dem La Coulée de Serrant von Nicolas Joly, der als Pionier des biodynamischen Weinbaus in Frankreich gilt. 100% sortenrein aus Chenin Blanc trocken ausgebaut, gehört der Coulée de Serrant zu den besten und teuersten Weißweinen nicht nur der Loire, sondern weltweit. Mit Evelyne de Pontbriand vom Weingut Domaine du Closel hat eine weitere ikonische Winzer:innen-Persönlichkeit die AOC Savennières geprägt. Ihre Chenin blancs aus der Einzellage Clos du Papillon sind Weine von Weltklasseformat, die zu ebenso luxuriösen Zutaten wie Hummer oder Steinbutt ganz hervorragend passen.
Vouvray: Exzellente feine Perlen
Domaine des Bidaudières
Während bei uns vor allem Crémants de Loire - z.B. aus der großen Kellerei Bouvet-Ladoubay in Saumur - bekannt sind, schätzen Weintrinker:innen in Frankreich besonders die AOC Vouvray mit ihren Fines Bulles de Loire. Unter dem Begriff versteht man im Allgemeinen hochwertige Schaumweine von der Loire, die in bestimmten AOCs in traditioneller Flaschengärung produziert werden.
Das kleine Dorf Vouvray östlich von Tours ist eine Hochburg des Chenin blanc als einzig zugelassener Rebsorte. Er wird zu 60% innerhalb der 2000 Hektar großen Appellation zu den Fines Bulles de Vouvray verarbeitet. In dieser Spitzen-AOC entwickeln die Weine dank ganz spezieller Tuff-Kalksteinböden eine ausdrucksstarke Frucht, die sich auch in den berühmten Süßweinen aus Vouvray niederschlägt.
Von frisch bis cremig
Je nachdem, ob die Grundweine im Edelstahltank oder im Holzfass vergoren werden und wie lange die Weine auf der Hefe reifen, entstehen ganz verschiedene Stile. Das Hefelager muss mindestens 12 Monate und kann bis zu mehreren Jahren dauern. So reicht die Palette von jungen und frischen Schaumweinen bis hin zu komplexen, reifen und cremigen Variationen. Insgesamt zeichnen sich die Fines Bulles aus Vouvray durch ihre Vielfalt, ihre ausgeprägte Säure, ihre mineralische Note und ihre aromatische Intensität aus.
Céline Champalou und Christophe Vigneau-Chevreau
Unsere Weinempfehlungen:
Vouvray, Feuilles d’Or 2013 Brut non dosée, Domaine d’Orfeuilles
Vouvray, Champalou Extra Brut 2016, Domaine Champalou
Vouvray, Domaine Vigneau-Chevraux, Extra Brut non dosé
Spargel und Wein: Tipps von der Loire
Die pflanzlichen Aromen des Spargels passen hervorragend zu den Thiol-Aromen des Sauvignon Blanc und den pflanzlichen Zitrusnoten des Muscadet. Bei den Sauvignons eigenen sich etwa Touraine Sauvignon Blanc und Haut Poitou Sauvignon Blanc. Generell braucht man braucht junge, frische Sauvignon Blancs und nicht die reichen, fetten, gealterten. In Frankreich wird Spargel am liebsten gratiniert, mit einer Vinaigrette oder einer Beurre blanc mit etwas frischem Pfeffer serviert.
Unsere Weinempfehlungen:
Maison Lacheteau, Château du Cleray Muscadet Sèvre et Maine sur lie 2022
Tourraine Chenonceaux Blanc, Domaine de la Renaudie, 2022
Cabernet Franc: Kühle Rotweine für den Sommer
Die große Rotweintraube Cabernet Franc (an der Loire „Breton“ genannt) stammt nicht etwa aus dem Bordeaux, sondern geht auf die ursprünglich in Nordspanien beheimatete Biturica-Traube zurück. Tatsächlich liegen das Bordeaux und die Loire mit je 14.000 Hektar Anbaufläche gleichauf, womit 25% der gesamten Rebfläche der Loire innerhalb von 9 AOCs mit Cabernet Franc bepflanzt sind. Aus dieser Traube lassen sich frische, würzige Rotweine machen, die leicht gekühlt auch im Sommer Spaß machen. Favorisiert durch das cool climate der Loire entbehren sie der Schwere mancher Artgenossen und behalten ihre Frische und seidigen Tannine auch im Alterungsprozess. Je nach Boden - von Schiefer und Vulkanstein in Anjou bis zu Tuffstein, Lehm und Sand in der Touraine - wechseln die Weinstile.
Besonders leicht und filigran geraten die Cabernet Francs in der AOC St Nicolas de Bourgueil, etwa der schlanke, trinkige Dyonisos der Domaine du Mortier. Etwas komplexer werden die Weine in der aktuell sehr angesagten AOC Saumur Champigny, wo sich auf 1.500 Hektar die ganze Bandbreite und Vielseitigkeit des Cabernet Franc entdecken lässt. Die Weine der AOC Brissac erhalten durch die Nähe zum Schieferbruch und zahlreichen Schieferadern einen charakteristischen, mineralischen Ausdruck. Der Breton 2019 der Domaine des Rochelles etwa zeigt eine schöne Nase von roten Beeren und am Gaumen Noten von Lakritz und Intensität bei gleichzeitiger Frische und Saftigkeit. Von einigen Stars abgesehen, sind die Preise noch moderat - am besten direkt zuschlagen.
Unsere Weinempfehlungen:
St Nicolas de Bourgueil, Domaine du Mortier, Dyonisos 2020
AOC Saumur Champigny, Domaine des Sanzay, Vieilles Vignes 2020
Brissac, Domaine des Rochelles, Breton 2019
Diese Reise wurde unterstützt von InterLoire, l’interprofession des vins du Val de Loire.
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