Futterneid & Tafelsilber isst im POTS Christopher Kujanski kocht sich frei

Nur Stammgästen dürfte auffallen, dass der Namenszug von Dieter Müller aus dem Eingangsbereich des POTS sang- und klanglos verschwunden ist. Nach einem opulenten Trüffelmenü vom Meister persönlich fiel der Vorhang für den 3-Sterne-Koch, dessen berühmter Name wohl ursprünglich als Zugpferd für die luxusverwöhnte Klientel des Ritz Carlton Berlin dienen sollte.

Tatsächlich am Herd steht im POTS seit nunmehr drei Jahren der 33-jährige Christopher Kujanski. Spätestens als der talentierte junge Koch aus dem polnischen Posen zum Aufsteiger des Jahres 2022 der Berliner Meisterköche gekürt wurde, war allen Beteiligten klar, dass es keinen kulinarischen Übervater mehr braucht: Kujanski hat sich längst frei und mit seiner Interpretation moderner deutscher Küche in die Herzen der Berliner Gourmets gekocht.

Der Startschuß für die neue Ära im POTS fiel Mitte Januar. Ab sofort gibt es ein quartalsweise wechselndes Menü („Ganz genüsslich“) mit standardmäßig vegetarischer Alternative. Trotz Fine Dining-Anmutung sitzt es sich lässig am großen Holztisch, mit Blick auf die offene Küche und das luftige Restaurant mit gemütlichen Sitzinseln.

Wir sharen selbst gemachtes Sauerteigbrot, Buchweizenbutter und süß-sauer eingelegtes Gemüse, bevor wir mit dem Grünen Hering, weißer Beete und Meerettichöl direkt in die Herzensküche von Christopher Kujanski einsteigen: Der erklärte Meerettich-Fan züchtet auf seiner Terrasse nicht weniger als 25 Wasabi-Arten, und Hering brachte die Mutter im heimatlichen Polen regelmäßig auf den Tisch. Seine Interpretation liegt optisch jenseits eines deftigen Hausmannsgerichtes, und der Geschmack ist ungewöhnlich leicht, frisch und mit einem angenehmen Hauch Schärfe versehen.

Was sich aus einem einfachen Römersalat machen lässt, demonstriert der nächste Gang: Forellenkaviar, schaumig aufgeschlagene Beurre blanc und Petersilie zaubern daraus eine feine Vorspeise mit kräutrigem Twist. Der Steinbutt ist in eine Kartoffelkruste verpackt, deren Geschmack ein zunächst unerklärliches Déja-vu auslöst: Nach Pombär schmeckt die knusprige Kartoffel, und somit herrlich umami und gewagt zum Edelfisch: Christopher Kujanski zeigt hier einmal mehr seine ausgesprochen individuelle Handschrift, die sich bei aller Finesse immer auch eine gewisse kindliche Verspieltheit bewahrt.

Zum Hauptgang entscheide ich mich gegen den Hirsch von Christopher Kujanskis Lieblings-Wildproduzenten, auch wenn mein rechter Nachbar angesichts der Fleischqualität und dem alkoholfreien Pairing aus frischen Brombeeren, Thymian, tasmanischem Honig mit leichter Rauchnote und schwarzer Johannisbeere für den Körper geradezu ins Schwärmen gerät: „Dieses Hirschkalb mit diesem unglaublich delikaten Drink - besser als jeder Rotwein“.

Und auch die fein austarierten Frankfurter Kräuter meines hübsch aufgeschichteten Bio-Ei mit Perlgraupen halten dem kräftigen Drink problemlos stand. Generell kann sich die alkoholfreie Weinbegleitung von Sommelier Pierre sehen lassen: Von der fruchtigen Cuvée aus unreifem Apfel und Eichenlaub von Jörg Geiger zum Aperitif über Sven Reiners staubtrockene Fusion zum Salataherz bis hin zu selbstgemachte Cocktails ist der Service auf den Dry January vorbereitet - und mit 350 Positionen, darunter einige deutsche Geheimtipps, auf der Karte auch auf Weintrinker’*innen bestens vorbereitet.

Zum Finale lernen wir den zweiten Herrn Müller, diesmal allerdings mit Vornamen Moritz, kennen: Der neue Pâtissier des POTS kommt frisch von Tim Raue und hat jede Menge kreative Ideen im Gepäck. Er soll nicht nur bei den Desserts, sondern auch bei Frühstück und Brunch neue Akzente setzen. Seine Interpretation des Kindergeburtstags-Klassikers Kalter Hund überrascht nicht nur durch seine helle Farbe und die kunstvolle Schichtung, sondern auch die geschmackliche Dekonstruktion der Urzutaten: Das Kokosfett in der Schokolade ersetzt er durch Kokoseis, das durch Limette zusätzliche Frische erhält. Die Kekse kommen als federleichte Butterblätter, die auf fluffiger Schokoladencreme liegen - ein Traum von Dessert.

Der Kreis schließt sich mit ausgesprochen köstlichen Pralinen in mimetischer Gemüseoptik: Von der Form her wie die eingelegten Pickles zum Einstieg, vom Geschmack her einfach göttlich. Vom zartschmelzenden Nougat über weiße Schokolade bis hin zu Waldmeisterbrause, einer weiteren Reminiszenz an die Kindheit reichen die Schokoladennuancen. Ein herzerwärmender Abschluss eines genussvollen Abends.

Montag bis Freitag: 12.00 und 14.30 Uhr Lunch

Mittwoch bis Samstag: 18.00 und 22.00 Uhr Dinner

https://www.potsrestaurant.com

Futterneid & Tafelsilber - DIE Genuss-Kolumne von Gesa Noormann

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