update: CODA-Team ist Berliner Meisterköchin und Berliner Meisterkoch
Nur um Dessert-Desserts geht es im CODA schon lange nicht mehr: Zwischen der 2016 zusammen mit Geschäftspartner Oliver Bischoff gegründeten CODA Dessert Bar und dem Dessert Dining von 2023 liegen nicht nur preislich Welten. Während die Bar mit kleinen Dessert-Tellern à 6 Euro startete, geht es heute um komplexe 15 Gänge-Menüs mit inkludierten Drink-Pairings, in die immer mehr salzige Komponenten eingeflossen sind. Ab 244 Euro kostet das vierstündige Dessert-Fine-Dining-Erlebnis - angesichts der Tatsache, dass man theoretisch nur Wasser und einen Aperitif dazu bestellen muss, ein normaler Preis in der 2 Sterne-Kategorie. Nicht normal ist alles andere: René Frank und sein hochprofessionelles Team setzen klassische Regeln aus und erfinden die Kunst des Desserts ohne Industriezucker, aber mit perfekter Balance aus Süße, Säure und Umami neu.
Im Gespräch und angesichts seiner bemerkenswerten Vita wird schnell klar, dass es sich bei René Frank um ein Ausnahmetalent handelt. Ohne ein klassischer Siegertyp zu sein, misst er sich gerne. Mehr um Grenzen auszuloten und zu testen, was er schaffen kann, als um sich feiern zu lassen. Schon 2005 gewinnt er den weltweiten Handwerks-Wettbewerb World Skills in der Kategorie Kochen, tingelt als Stipendiat des Landes Baden-Württemberg durch japanische Sternerestaurants, ist von 2010-2016 Chef-Patissier im „la vie“ (3 Michelin-Sterne), wird vier Mal Patissier des Jahres und 2022 schließlich „World’s Best Pastry Chef“. Besser geht immer, ist seine Philosophie: 2019 bekommt er im CODA den 1. Michelin-Stern und 2020 in rasanter Folge den 2. Auch gegen einen dritten Stern hätte er nichts, solange das Team mitzieht und die Wirtschaftlichkeit stimmt.
Dream-Team der ersten Stunde: René Frank und Julia A. Leitner
Überraschen würde uns das nicht, denn die Perfektion seines Teams mit Julia A. Leitner als Küchenchefin ist bemerkenswert. Aber was ist jetzt eigentlich genau Dessert Dining? Im CODA heißt das, dass das komplette Menü aus innovativen, neu interpretierten und dekonstruierten Desserts besteht. Wirklich süß sind davon die allerwenigsten, eher geht es um die präzise Handwerkskunst des Patissiers und die richtige Balance aus der natürlichen Süße aus Gemüse und Früchten, herben Kräuternoten, salzigem Käse, Säure aus Zitrusfrüchten oder Umami aus fermentiertem Reis. Vor allem, weil gerade im Bereich der Desserts mit industriellen Produkten und ungesunden Zutaten wie Farben, Fetten und Zuckern gearbeitet wird, schlägt René Frank neue Wege ein. „Der Verzicht auf industriell verarbeitete Produkte ist für mich in der Spitzengastronomie eine Selbstverständlichkeit. Dabei geht es mir um die reinen, natürlichen Grundzutaten und ihren eigenen geschmacklichen Charakter. Halb-Fertigprodukte in der Patisserie schränken das kulinarische Handwerk ein“ erklärt er.
Foto: Claudia Goedke
Was er besonders mag, ist der Überraschungsmoment des Desserts, das ja immer aus bearbeiteten Zutaten und nicht etwa aus ganzem Gemüse oder einem Stück Fleisch besteht. Kein Gast sieht von außen, was ihn genau erwartet, und so besteht die Kunst für René Frank darin, ein Gespür für die richtigen Menü-Kombinationen zu entwickeln. Dazu gehört etwa, dass auf einen innovativen, ausgefallenen Gang ein klassischer folgt - quasi zur Erholung zwischen Gaumenkitzel und Comfy-Moment. Wir erleben das, wenn auf eine käselastige Brioche zwei hinreißende Baiserhälften mit süß-saurer gelber Tomate folgen - für mich als Pavlova-Fan einer der Lieblingsgänge an diesem Abend. Der Kopfsalat überrascht als transparente Halbkugel mit knuspriger Konsistenz, während die fluffige Raclette-Waffel dagegen fast konventionell wirkt. Hier ist es der pulverisierte Kimchi, der für Erstaunen sorgt. Mit dem inzwischen ikonischen „Caviar Popsicle“, einem salzigen Eis am Stiel mit Kaviar-Topping, stellt René Frank gewohnte Formen und die damit assoziierten Geschmäcker auf den Kopf. Bewusst spielt er auch beim „Cironé Cheesecake“ - einem großartigen kleinen Kunstwerk aus Sellerie und Kaffee - mit der Enttäuschung von Erwartungshaltungen, erinnert dieses filigrane Geschmackswunder doch an alles andere als die fettige Kalorienbombe aus New York. Optische Effekte interessieren ihn nicht, sagt René Frank, jedenfalls nicht zum Selbst- oder Dekozweck. Ein Ästhet ist er hingegen allemal: Teller wie die geeiste rote Beete sind von einer Schönheit, die zu zerstören und zu essen geradezu Überwindung kostet.
Foto: Gesa Noormann
Weil René Frank Weinpairings in den allermeisten Fällen für schwierig oder gar unmöglich hält, haben er und sein Team ausgehend von der Küche ein akribisch durchdachtes Drink-Pairing entwickelt, das manchmal Ergänzung, manchmal Kontrast und manchmal ein Spiegel der der Aromen des jeweiligen Gerichts ist. Dem CODA-Qualitätsanspruch entsprechend wird nicht mit Industriespirituosen, sondern besten Zutaten und Bränden gearbeitet. Die werden nicht selbst hergestellt sondern eingekauft, denn für die gewünschte Qualität etwa eines Kardamom-Destillats von der Deutschen Spirituosen-Manufaktur hat das Restaurant schlichtweg weder Equipment noch Ressourcen. Das Pairing ist bemerkenswert und ein Erlebnis für sich: Mandelmilch, Aprikose und Espresso etwa geben der Gelben Tomate den letzten Schliff, ein Apfel-Quitten-Secco liefert die nötige Säure zur Raclette-Waffel. Himbeere nimmt die Farbe der Roten Beete auf, eine rauchige Schwarzbierreduktion setzt einen spannenden Kontrapunkt zur Petersilienwurzel. Die gut ausgewählte Weinbegleitung - die entzückende Sommelière verwöhnt uns etwa mit einer Riesling-Auslese von Prüm - heißt im CODA "Weinflight" und kommt bewusst als Pausengleitung zwischen den Gängen auf den Tisch. So gut die Weine sind, überfordern sie uns angesichts des Drink-Pairings fast - 15 Gänge plus begleitender Getränke sind auch für Berufsesser:innen wie uns eine ordentliche Herausforderung.
Foto: Claudia Goedke
Am Ende gibt es mit der wunderbaren selbst gemachten Schokolade - eine Valrhona wirkt dagegen wie ein fades Industrieprodukt - tatsächlich echte Desserts. Und auch hier stammt die Süße nicht von weißem Industriezucker, sondern von der natürlichen Süßkraft der verwendeten Produkte oder unraffinierten Süßungsmitteln wie Ahornsirup oder schwarzem Muscovado-Zucker. Schokolade stammt „from bean to bar“ aus der eigenen Küche. Generell sind alle verwendeten Zutaten von bester Qualität, zu 90% biologisch angebaut und wenn möglich regional. Flugananas oder -mango verwendet Frank grundsätzlich nicht, Fleisch taucht in eher homöopathischen Dosen auf. In unserem Menü zum Beispiel in Form eines gepufften Grissinos vom Landschwein oder eines Fudge-Dragées mit Rinderfett.
Dieser bewusste Umgang mit Ressourcen ist Teil der Philosophie: „Nachhaltigkeit und ganzheitliches Denken stehen bei mir an oberster Stelle. Das umfasst die höchste Qualität unserer verwendeten Produkte genauso wie das wertschätzende Miteinander innerhalb des Teams und ein absolut faires Arbeitsumfeld“, sagt René Frank. Dazu passt, dass das Coda in Berlin das einzige uns bekannte Sterne-Restaurant ist, bei dem die rote Michelin-Plakette nicht etwa vor der Tür, sondern in der Küche hängt. Eine so simple wie außergewöhnliche Geste, die nicht nur eingeschlagene Fenster verhindern soll, sondern vor allem viel aussagt über René Frank: Vor der Außenwirkung kommen bei ihm die Mitarbeiter:innen, so dass es kaum verwundert, dass er sich über Personalmangel keine Gedanken machen muss. Dass ein zufriedenes Team sich auch wiederum optimal um die Gäste kümmern kann, liegt auf der Hand: Nach einem außergewöhnlichen Abend im CODA haben wir den lebenden Beweis an Leib und Seele erfahren dürfen.
CODA, Friedelstraße 47, 12047 Berlin, Di – Sa ab 19.00
Futterneid & Tafelsilber - DIE Genuss-Kolumne von Gesa Noormann