Futterneid & Tafelsilber isst im Restaurant Macionga Gemüsealchimist trifft Cuvéezauberer

André Maciongas Weinbegleitungen sind legendär. Dass der Neu-Gastronom unserem Abstinenz-Wunsch trotzdem mit der höflichen Gelassenheit eines 2-Sterne-Sommeliers begegnen würde, hatten wir erwartet - die lässige Selbstverständlichkeit, mit der er das bemerkenswerte Menü seines Küchenchefs Sebastian Leyer auf hohem alkoholfreien Niveau pairte, hat uns dann doch überrascht: Ein auf allen Ebenen erfreulicher Abend.

Optisch wirkt das Restaurant in der Xantener Straße so bürgerlich chic, wie es in diesem gutsituierten Wilmersdorfer Kiez üblich ist: Geschmackvolle Einrichtung, gedämpftes Licht und an der Wand wechselnde zeitgenössische Kunst - nur dass hier an jedem freien Fleck Weinregale stehen. Das Konzept klingt ungewöhnlich: Das Macionga ist als zwangloses Gourmetrestaurant mit Kneipenvorraum konzipiert, ohne dass beide streng voneinander getrennt sind. Während es an den vorderen Tischen und an der Bar kleine Gerichte zu Wein und Fassbier gibt - auch Claus-Theo Gärtner kommt gerne auf eine Bockwurst vorbei - ist der hintere Teil dem Fine Dining vorbehalten.

So richtig lebendig wirkt das noch nicht, aber die Hälfte der Tische ist besetzt und die Neueröffnung hat sich offenbar auch vor dem offiziellen Opening herumgesprochen. Kein Wunder, denn auch Küchenchef Sebastian Leyer ist kein Unbekannter in der Berliner Gastroszene. Bevor er mit dem Anbau von Gourmet-Gemüse in seiner Permagärtnerei Hortus Tayta in der Schorfheide begann, hat er im Pauly Saal, Le Faubourg und Gut Boltenhagen gekocht und gilt als einer der Vertreter der radikal lokalen, neuen Berliner Küche. Zusammengebracht haben André Macionga und Sebastian Leyer gemeinsame Bekannte aus der Gastro-Szene. Eine glückliche Fügung: Den Top-Sommelier und den Spitzenkoch eint die Leidenschaft für qualitativ hochwertige Produkte und ungewöhnliche Geschmackserlebnisse.

Über den bedauerlichen Umstand, dass André Maciongas Weinkelche heute an uns vorübergehen, tröstet uns eine angenehm unsüße Genmaicha-Limonade hinweg. Mir ihr fängt der Abend schon mal gut an, und sie passt gut zum „Vorspiel“, einem Kräutersaitling mit Fichtenzapfen, Kiefer, Honig und Knoblauch. Wie jedes gute Amuse nimmt es die ganze Essenz der Küche in einem kleinen Bissen gleichsam vorweg - in diesem Fall zeigt es die Kunst von Sebastian Leyer, der im Keller des Restaurants aus Kiefern- und Fichtenzapfen vom süßen Sirup bis zum (wie hier) knusprigen Topping unverwechselbare Aromen und Speisebegleiter herstellt.

Die Rote Beete mit Buttermilch und leicht säuerlichen Oxalisblättern stellt die schön knackige, erdige Knolle als klare Protagonistin in den Vordergrund - ein puristischer Gang, bei dem für meinen Geschmack allerdings ein wenig Umami fehlt. Der Rote Beete-Martini im Glas bekommt durch den Verjus eine schöne Säure, könnte zum Essen allerdings einen mutigeren Kontrapunkt setzen.

Bei seinem Lieblingsgemüse Sellerie läuft Sebastian Leyer dann zur Hochform auf: Er vereint Staude und Knolle mit geriebenem Ei, einer vegetarischen Glace und Petersilienöl zu einer geradezu alchimistischen Symbiose, die einfaches Gemüse in höhere Geschmacksphären katapultiert. Vielleicht liegt es daran, dass Leyer seinen Sellerie von der Saat bis zur fermentierten Knolle und Wurzel kennt und mit Respekt und Wertschätzung zubereitet. Und André Macionga ihn mit einem Sellerie-Saft mit Quitte und Umboshi-Pflaume sensorisch aufs nächste Level hebt.

Die gleiche Sorgfalt mit dem Produkt lassen auch Leyers weitestgehend regionale Fleisch- und Fischlieferanten walten. Sie teilen seine Philosophie und halten die Qualität immer auf ebenso hohem Niveau wie die vegetarischen Zutaten: „Wir machen keine Geheimnisse um unsere Zutaten und verraten gerne, wo man sie kaufen kann. So unterstützen wir unsere Lieferanten und sorgen dafür, dass interessierte Gäste zu Hause selbst ausprobieren können, was man aus richtig guter Ware zubereiten kann“ erklärt Sebastian Leyer.

Dass Tierisches nur sparsam und in hoher Qualität im Menü erscheint, versteht sich von selbst. So besteht der einzige Fleischgang im Menü aus einem puristisch mit Karotte angerichtetem Schwein mit amtlichem Fettrand. Ein feiner und doch rustikaler Gang, zum dem das kräftige Apfel-Douglasie-Bier (mit Brlo, dem wohl besten alkoholfreien Bier auf dem Markt), das entfernt an Cider erinnert, ganz hervorragend passt. Das Menü schließt mit einer Granité aus Zitronentagetes, Kürbis und Doppelrahm, die in der Kombi mit gleichzeitiger Frische und Cremigkeit überraschen. Die (warum auch immer) als „russisches Gebäck“ angebotenen Sandkekse zergehen auf Köstlichste auf der Zunge und ich frage mich, wie man sich nach den ganzen Weihnachtskeksen noch so in ein simples Plätzchen verlieben kann.

Wie sind rundum zufrieden und freuen uns, dass Andre Macionga sich getraut hat, sein mutiges Restaurant ausgerechnet in der Nachbarschaft der sprichwörtlichen Witwen im alten Berliner Westen zu öffnen. Wie schön, dass Sebastian Leyer zurück in Berlin ist und sich mit seinem Küchenkonzept, das ethisch und aromatisch am ehesten einer Art Nobelhart & Schmutzig light nahekommt, verwirklichen kann. Bisher scheint das lokale Publikum aufgeschlossen - mit ein bisschen Glück pilgern demnächst sogar die Food-Hipster nach Wilmersdorf. Und wir probieren definitiv eine der 700 spannenden Positionen auf der Weinkarte.

Menü: 95€ | Weinbegleitung 68€ | Getränkebegleitung für Fortgeschrittene 188€

Kneipenkarte: ab 5€

Macionga Restaurant, Xantener Strasse 9, 10707 Berlin |

restaurantmacionga.com/

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