prism Berlin Der Levante-Twist

„You will be surprised“ sind die Worte, mit denen mich Gal Ben Moshe Anfang September in seinem Restaurant prism empfängt. Nach dem 2018 geschlossenen GLASS, dem 2020 erstmalig verliehenen Michelin-Stern und der erneuten Nominierung zum Berliner Meisterkoch bin ich neugierig. Zu mehr Konversation lässt er sich nicht hinreißen - das Essen soll für sich sprechen. Die Überraschung glückt: Aufsteigender Rauch und andere Spielereien sind verschwunden, ersetzt von einer klaren, puren Küche, die nicht nur durch sauberes Handwerk und Spitzenprodukte glänzt, sondern sich vor allem durch einen äußerst individuellen Levante-Twist auszeichnet. Anders gesagt: Nach Jahren des Ausprobierens hat Gal zu seinen Tel Aviver Wurzeln gefunden und diese auf der Basis seiner Erfahrungen in der europäischen Spitzengastronomie (er arbeitete unter großen Köchen wie Jason Atherton, Marcus Wareing und Grant Achatz) zu einem eigenen Stil  weiterentwickelt. In logischer Konsequenz pairt seine Frau Jacqueline Lorenz das Menü mit einer handverlesenen Auswahl an Weinen aus dem Nahen Osten, die in Berlin und westlichen Sternerestaurants einmalig sein dürfte.

Jacqueline Lorenz, Gal Ben Moshe - Foto: prism

Der Umzug in die Charlottenburger Fritzschestraße tut dem Restaurant prism auch optisch gut: Klare Linien, ein unprätentiöser Stil in Nude-Tönen und mit intimer Beleuchtung. An diesem Freitag Abend im September ist das prism gut besucht, aber nicht ausgebucht - wie überall in Berlin sind Michelin-Sterne angesichts der aktuellen Lage keine Selbstläufer mehr. So ein Menü hat seinen Preis und ist im prism mit 195 Euro für 6 Gänge deutlich höher angesetzt als bei anderen Restaurants in diesem Segment.

Spätestens bei nicht weniger als sechs Amuses-bouches, die der Küchenchef persönlich kredenzt, erklärt sich allerdings der Preis: Vor dem eigentlichen Menü serviert Gal Ben Moshe nämlich ein Tasting-Prélude mit exakt der gleichen Anzahl an Gängen. Plus das über offenem Feuer gebackene Sauerteigbrot mit Olivenölbutter und der orientalischen Gewürzmischung Zaatar. Tatsächlich ist Feuer das wiederkehrende Element, das die Brücke zur Geschichte und den Wurzeln der Aromen des Levante schlägt, vielen der Gerichte eine zarte rauchige Note verleiht und den charakteristischen Geruch nach weißer Holzkohle und Röstaromen erklärt, der über dem Restaurant liegt. Und symbolisch für das kontrastreiche Konzept des prism mit seiner Mischung aus Lockerheit und Anspruch, Rustikalität und Exzellenz steht.

Foto: Gesa Noormann

Jacqueline Lorenz empfiehlt uns die Weinbegleitung „concept“ (108 Euro), so dass wir mit dem Gamla White Brut, einem Sparkling von der Golan Heights Winery, starten. Der israelische Sekt aus Chardonnay und Pinot Noir wird traditionell in der Flasche vergoren, ein Jahr auf der Hefe gelagert und stimmt mit seiner knackigen Frische wunderbar auf Gals Küche ein. Die kleinen, perfekt knusprigen Hörnchen aus Brik-Teig entfalten sich mit ihrer Füllung aus Labane-Frischkäse und in Sake gereiftem Forellenrogen am Besten als ganzes Gedicht im Mund. Ein weiteres kleines Kunstwerk kommt als Gemeinschafts-Hommage an Frankreich und den Maghreb in Form eines Macarons mit Foie gras, Harissa und Mandarinen - was für eine gewagte Kombination, war für ein aufregender Geschmack. Wie ein Ausflug in einen orientalischen Gewürzbasar klingen die Komponenten von Gals kleinen Kunstwerken, und doch sind sie in ihrer Kombination mit klassisch französischen Techniken und Aroma-Anleihen aus Japan so multidimensional und komplex, dass man ihm mit dieser Assoziation fast Unrecht tut.

Foto: Gesa Noormann

Beim eigentlichen Menü überzeugen viele der west-östlichen Synthesen wie das Bernsteinmakrelen-Crudo mit bulgarischer Paprika und Tomatenvinaigrette, Shiroita Kombu und Paprika-Oshu im Süße-Säure-Salz-Spiel aufs Wunderbarste. Überhaupt verfügt Gal Ben Moshe über eine herausragende Fisch-Expertise, so auch beim Steinbutt oder der Sardinen-Brandade. Manchmal schießt der Anspruch an Origininalität allerdings über das Ziel hinaus: Eine Foie Gras ins Weinblatt zu packen und mit Pita-Brot zum trockengereiften Schwarzfederhuhn zu servieren, konnte uns in aromatischer These und Antithese nicht wirklich überzeugen.

Foto: Gesa Noormann

Jacqueline Lorenz pairt zum Menü in lässiger Perfektion israelische, syrische und libanesische Weine. 230 zum Teil direkt importierte Positionen umfasst die mutige Karte des Restaurants - außer dem prism traut sich sonst kein Restaurant in Berlin (und israelische Chefs mit Ambition gibt es einige), in das Thema auch nur ansatzweise einzusteigen. Die gebürtige Berlinerin ist durch die Zusammenarbeit mit ihrem Mann Gal zum Wein gekommen und hat sich in kurzer Zeit eine bemerkenswerte Expertise erarbeitet: Im ARAL Schlemmeratlas zählt sie zu den 50 besten Sommeliers in Deutschland, belegte den 2. Platz beim VDP Traubenadler und wurde 2019 als „Berliner Gastgeberin 2109“ im Rahmen der Berliner Meisterköche nominiert. Mit klaren, unprätentiösen Worten bringt uns die gebürtige Berlinerin den spezifischen Stil der nahöstlichen Gewächse nahe - das macht großen Spaß und ergänzt die Aromen der Küche auf wunderbare Weise, etwa bei dem weißen The Silent Hunter von Yaacov Oryah, der mit knackiger Säure die Süße der Urkarotte aufnimmt. Oder der Obeideh von Coteaux du Liban, der es mit ausgeprägtem Blütenduft und einer trockenen, mineralischen Struktur schafft, neben Gals Makrele zu bestehen.

Foto: Gesa Noormann

Pre-Dessert und Dessert geben noch mal ordentlich Gas: Der in Kalzium eingelegte Kürbis mit Joghurt-Cremaux und Kürbissorbet funktioniert perfekt als gemüsig-eisiger Mouthwasher, und die Kamelmilch-Eiscreme (Bezugsquelle für die seltene Milch ist tatsächlich eine niedersächsische Kamelfarm) schmeckt mit Joghurt und Honig gerade so ungewöhnlich, dass sie in die Rubrik „großartig“ und nicht etwa „interessant“ fällt. Meine Begleitung schielt auf den Nachbartisch, wir scheren zum Finale aus der concept-Weinbegleitung aus und bestellen die unwiderstehliche, auch zum Kamel-Eis perfekte Graacher Himmelreich Auslese 2003 von Joh.Jos.Prüm aus der „fine wine“-Begleitung. Sie ist für Weintrinker:innen gedacht, die lieber beim Bekannten bleiben - und selbstredend ist Jacqueline Lorenz’ Auswahl auch hier herausragend.

6-Gänge-Menü: €195 | Weinbegleitung concept: € 108, fine wine: €180 

prism Berlin, Fritschestraße 48, 10627 Berlin

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