Das gelingt selten in einem Hotelrestaurant und mag daran liegen, dass die isländische Köchin Victoria Eliasdóttir das Château Royal gemeinsam mit Gastronom und „Grill Royal“-Gründer Stephan Landwehr und Moritz Estermann besitzt und zusammen mit Elena Müller als Chef de Cuisine alle gastronomischen Bereiche im Château Royal verantwortet.
Es ist gewiss kein Zufall, dass der Weg ins Restaurant quer durch Hotel, Bar und Innenhof führt: Dank dieser klugen Inszenierung zieht uns das sinnliche Imperium dieser in vollendeter Ästhetik gestalteten Räume sofort in seinen Bann. Zusammengeführt wurde das Ensemble aus denkmalgeschützten Jahrhundertwende-Häusern durch einen Neubau von David Chipperfield, passend zur eklektischen Architektur hauchte Designerin Irina Kromeyer den alten Mauern Leben ein. Inspiriert haben sie für die Berliner Blütezeit typische Materialien wie farbiger Marmor, Fischgrätparkett, Eiche, Nickel und Craquelé Fliesen.
Berlin mit Pariser Flair, mondäne Eleganz, zurückgenommener Luxus: Der Wow-Effekt ist garantiert und macht den Abend schon lange, bevor man auch nur einen Bissen zu sich genommen hat, zum Erlebnis.
In den gleichen Räumen hatte Victoria Eliasdóttir die Berliner Gourmetszene mit ihrem ersten dóttir schon einmal ins Schwärmen gebracht. Sieben Jahre später ist die Welt eine andere - und das Küchenkonzept weg vom Fisch, hin zu Gemüse als Protagonisten. Vegetarisch wird hier dennoch nicht gekocht - nur, dass Fleisch und auch Fisch in Zeiten leergefischter Meere bewusst und dosiert zum Einsatz kommen.
„Wir sind kein vegetarisches Restaurant, aber wir kochen überwiegend mit Gemüse“, so Eliasdóttir. „Ich verwende gerne Fleisch und Fisch, aber keineswegs als zentrale Elemente – wir setzen beides in geringen Mengen in qualitativ hochwertiger Form ein.“ Die Rezepte entwickelt sie gemeinsam mit ihrer Küchenchefin Elena Müller - das Ergebnis kann sich sehen lassen und hebt Küche mit nachhaltigem, regionalen Ansatz auf das nächste Level.
An unserem Tisch mit direktem Blick auf das „Hurrah die Butter ist alle“-Neonkunstwerk von Karl Holmqvist angekommen, tauchen wir ganz in das dóttir-Universum ein: Unprätentiöse Holztische, ein selbstbewusster, junger Service und ein Wintermenü mit Gemüsen, die saisonaler nicht sein könnten. „Für mich geht es darum, auf das zu reagieren, was gerade Saison hat, verfügbar und ethisch vertretbar ist. Mit dem was da ist, kreieren wir köstliche Gerichte,” erklärt Victoria Eliasdóttir.
Wir bestellen ein Glas von Heinz Wagners St. Blasien Sekt, der ganz hervorragend zum hübsch in eine hauchdünne Rettichscheibe verpackten Sellerie passt. Der tadellos gegarte, vielleicht einen Tick zu salzige Rochenflügel kommt pur, dazu gesellt sich Grünkohl, wohlbemerkt in ganzen, knackigen Blättern und nicht bis zur faden Unkenntlichkeit zerkocht.
Was dann kommt, raubt uns fast den Atem: Die am Tisch auf Pilze angegossene Pilzreduktion schmeckt unglaublich konzentriert und bringt zusammen mit der Steinpilzbutter die ganzen Aromen des Waldes auf den Tisch - ein Gedicht!
Nichts lenkt ab, der Service ist schnell und effektiv, die Weinempfehlungen dennoch kundig. Es stehen über 250 Weine auf der Karte, darunter Naturweine, Klassiker und einige weniger bekannte Positionen sowie etwa 2000 Flaschen im Keller.
Zum Spitzkohl mit Apfel, Estragon, Lardo und Rauchkartoffel trinken wir einen Saint Aubin Vieilles Vignes aus dem Burgund, der bestens mit der bittersüßen Orangensauce auf dem Chicorée harmoniert. Zum Abschluss mindert das Kamilleöl ein wenig die Enttäuschung über eine untadelige, aber wenig aufregende Crème Caramel - anscheinend greift auch im dóttir die Regel, dass auf ein großes Menü meist keine großen Desserts folgen (und umgekehrt).
Mögen die Wintergemüse auf Fotos ein wenig blass erscheinen, explodieren sie so aromenreich und kreativ in Szene gesetzt umso mehr auf der Zunge. Zu unserer Freude zeigt das dóttir, wie sich Nachhaltigkeit und Fine Dining keineswegs ausschließen. Für uns hätte es Rindertartar, Austern und Entenbrust, die als Extras zusätzlich bestellbar sind, nicht gebraucht - das Menü funktioniert auch ohne tierische Prestigezutaten hervorragend. Vielleicht sind sie als Zugeständnis an die anspruchsvolle Hotelklientel, das immerhin in einem königlichen Château eingecheckt hat, gedacht. Vielleicht stehen sie aber schlicht für eine Philosophie, die Geschmack und Genuss vor dogmatische Rechthaberei stellt - und welcher Gourmet wäre damit nicht einverstanden?
Logische Konsequenz eines Abends im dóttir ist selbstredend ein Drink an der Bar, dem Herzstück des Château Royal, vielleicht ein von Barchef Matteo Vacca kreierter Oyster Martini? Der klassische Martini mit einem Spritzer Austernwasser und einem Hauch trockenem Amalfi Zitronenlikör hat sich schnell zum Signature Cocktail entwickelt, ebenso der Negroni Sous Vide. Das Leben kann so schön sein.
dóttir
Menü: 85 Euro
Mittelstrasse 41, 10117 Berlin, +49 30 234 567 70
Öffnungszeiten: Dienstag-Freitag von 12 Uhr à la carte und Lunch Special
Mittwoch-Samstag ab 18 Uhr saisonales Chef Menü
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