Futterneid & Tafelsilber in der Winebar Zerostress Innovative Enoteca im Bergmannkiez

Wie schön, dass die ehemaligen Räume des Fermento nun von einer neuen Weinbar bespielt werden. Ohne viel an der rustikalen Einrichtung im Osteria-Stil zu verändern, ist im November letzten Jahres die Winebar Zerostress in die Friesenstraße 21 eingezogen. Hier geht es um entspannte Genusskultur mit ausgesuchten Weinen, die ganz gewiss nicht zum Mainstream-Angebot des Italieners um die Ecke gehören. Anders gesagt: einen Cà dei Frati wird man hier vergeblich suchen. Vielmehr umfasst die regelmässig wechselnde Karte eine Reihe an biodynamischen und natürlich erzeugten Weinen, die von meist kleinen Weingütern und teilweise aus weniger prestigeträchtigen Regionen Italiens wie dem Lazio stammen.

Wir starten mit einem Petnat (also natürlich vergorenem) Malvasia secca und einem Lambrusco Rosé. Letzterer hat rein gar nichts mit dem pappsüßen Gesöff der 70er Jahre zu tun, sondern kommt staubtrocken und mit feiner Perlage daher. Für Aperitivo-Fans stehen spannende Kreationen wie ein Negroni-Sour auf der Karte, daneben auch Klassiker wie der Aperol Spritz, der hier selbstredend mit bestem Millesimato DOC Prosecco zubereitet wird.

Dass das Projekt Zerostress ursprünglich als Foodtruck mit Festivalauftritten in immerhin 13 Ländern gestartet ist, merkt man allerhöchstens an den Rastalocken von Mitbesitzer Nicola Marchetti (im Service) und den punkig gebrandeten Shirts. Seßhaft wurde Zerostress 2015 mit dem ersten Standort in Friedrichshain, 2019 kam der zweite in Kreuzberg dazu, der bereits erfolgreich auf qualitativ hochwertige Weine setzt. Daraus ist schließlich die Idee für den jüngsten Zerostress-Ableger entstanden, den Marchetti zusammen mit Riccardo Lentini gründete:

„Die Nachfrage nach besonderen Weinen war so hoch, dass wir einen Ort schaffen wollten, an dem Wein mehr Aufmerksamkeit erfährt als in einer Pizzeria“ erzählt Nicola. „Ich war früher gar kein Weinspezialist, auch wenn jeder Italiener zwangsläufig über eine gewisse Weinkultur verfügt. Inzwischen habe ich eine große Leidenschaft speziell für Naturweine entwickelt und hoffe, dass die Abgrenzung zu klassischen Weinen irgendwann keine Rolle mehr spielen wird.“ Noch ist das nicht so - auch meine Begleitung entscheidet sich, nach ihrem Wunschwein gefragt, explizit gegen die Naturvariante.

Die Küche ergänzt die Weine mit einem überzeugenden Zusammenspiel aus hervorragenden Produkten und wenigen, aber ausgesprochen geschmackvollen Gerichten. Marinierte Oliven mit Salbei und Zitrone und Taglieri, die traditionellen italienischen Aufschnittplatten mit selbstgebackenem Sauerteigbrot, sind perfekt für den Aperitif. Wie alles in der Winebar Zerostress geht Qualität vor Quantität: unterschiedlich lange gereifte Pecorini, Blauschimmelkäse von der Ziege, dazu geröstete Mandeln, hausgemachte Orangenmarmelade und als Clou schaumig-knusprige Würfel, die wie Bienenwaben aussehen und intensiv nach Honig schmecken. Es zeigt sich an diesen Kleinigkeiten, dass Küchenchefin Irene Porcelli sowohl handwerklich als auch geschmacklich nach dem Außergewöhnlichen sucht.

Genauso, wie die Karotte im Wintergemüse - eines der warmen Gerichte - überraschende Kaffeearomen aufweist: Tatsächlich wurde sie im Sousvide-Verfahren zusammen mit Kaffeebohnen gegart. Das Slow-cooked Kalbsgulasch wurde tagelang gegart und dadurch butterweich. Die Signature-Bignés bekommen durch das gesalzene Karamell zwar eine ungewöhnliche Note, können uns aber mit ihrer etwas massiven und irritierend kalten Walnusspaste hingegen nicht ganz überzeugen. Schön dazu der Sauvignon Ferlat aus dem Friaul, der mit einer Nase von Passionsfruchtblüten und ausdrucksstarken tropischen Aromen überrascht und auch gut zum hübsch präsentierten und nicht minder köstlichen Dessert mit Kürbis (!)- Creme Brûlée und einem Schokoladen-Gugelhupf mit Kaffee-Mascarpone passt.

Noch geht es an diesem Sonntagabend ruhig zu in der Winebar Zerostress. Es wird sicherlich nicht lange dauern, bis sich der kleine Laden allabendlich füllen wird - die Produktqualität stimmt, die Preise sind fair und das Konzept passt für alle, die sich wie wir nach einem Stück moderner italienischer Weinkultur in Berlin sehnen.

Zerostress Winebar, Friesenstraße 21, 10965 Berlin

Futterneid & Tafelsilber - DIE Genuss-Kolumne von Gesa Noormann

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