Golvet Berlin Ganz weit oben

Am liebsten hätte Jonas Zörner schon vor seinem 30. Geburtstag den zweiten Stern für das Golvet bekommen. Doch auch wenn der Michelin sich in diesem Jahr noch nicht dazu durchringen konnte, mutet der Aufstieg des jungen Berliners durchaus rasant an. Als der damalige Souschef im Frühjahr 2020 Björn Swanson als Küchenchef ablöste, konnte er den Stern halten und wurde zwei Jahre später zum Berliner Meisterkoch 2022 gewählt.

Den Grundstein für seine Karriere legte seine Ausbildung im 2-Sterne-Restaurant Facil des Berliner „The Mandala Hotel“, Feinschliff erhielt er im Zürcher „The Restaurant" im Hotel „The Dolder Grand“, bevor er im Herbst 2018 im GOLVET als Chef de Partie begann.

Jonas Zörner hat in den letzten beiden Jahren eine dezidiert eigene Handschrift entwickelt, die sich auf nachhaltige Zutaten, handwerklich perfekte Zubereitung und eine filigrane Präsentation stützt. Als wenn das nicht schon reichen würde, kommen im Golvet die großartige Panorama- Aussicht über die Dächer Berlins und ein außergewöhnlicher Zusammenhalt untereinander dazu.

„Die unglaubliche Kreativität meines Teams und die Motivation jedes Einzelnen, jeden Tag gemeinsam besser zu sein als am Vorherigen, liebe ich am Golvet. Es wäre nur ein seelenloses Restaurant ohne mein tolles Team. Daher herrscht im GOLVET eine spürbar andere Atmosphäre als in anderen Sterne-Restaurants. Darauf sind wir sehr stolz“, erzählt der junge Sternekoch. Als Vater eines Sohnes kennt er die Herausforderungen, die die Gastronomie an die Work-Life-Balance stellt - so sind er und andere dankbar, dass im Golvet die Vier-Tage-Woche gilt. An Arbeitstagen macht der Sohn schon mal seine Hausaufgaben im Restaurant - das Setting könnte schlechter sein.

Barchef José Kolbe, Restaurantleiter Martin Wolf - Foto: Gesa Noormann

Während des Lockdowns hat das Team einen eigenen Dachgarten mit Shiso, Steinklee, Baumspinat-Blüten, Kräuter und teilweise auch schon Gemüse angelegt. Andere Ingredienzen kommen von kleineren Betrieben der Region wie der Fischereizucht „25 Teiche“ oder Marko Seibold, der über Microgreens bis hin zu Kartoffeln und Roter Beete das Gemüse liefert. Bestellt wird nur einmal pro Woche, um auf tägliche Lieferketten zu verzichten. Nichts wird einfach weggeschmissen, sondern tritt mit bis zu 3-4 Einsätzen in einen Wiederverwendungskreislauf ein. Da kann aus Kaffeesatz Salatessenz werden oder aus Brotresten ein filigraner Chip oder Crumble für Salat, was neben dem ökologischen Wert zu interessanten Neuschöpfungen inspiriert.

Überhaupt ist es der Ideenreichtum von Jonas Zörner, der seine Menüs zu einem wahren Füllhorn an geschmacklichen, optischen und texturellen Überraschungen macht. Jeder Gang ist durchdacht und steht für sich, jedes der alle drei Monate wechselnden Menüs steht leuchtend für die jeweilige Jahreszeit.

Wir entscheiden uns für ein konventionelles und ein vegetarisches Menü. Barchef José Kolbe empfiehlt uns für die Fleisch-und Fischvariante die Cocktail-  und für die vegetarische Variante die Weinbegleitung. Wir starten mit einer hübsch bestückten Blumenwiese, auf der sich neben einem Nest aus dreierlei Petersilie (Chip, fermentiert und als Blatt) und einer Teigtasche mit Jonas’ Interpretation von Eiersalat auch eine aus Kakaobutter und Dulce de Leche nachgeformte Erdnuss mit Mango und Curry tummelt. Die Form dafür scheint gerade en vogue zu sein - auch bei Nils Henkel auf Sylt hatten wir sie kürzlich schon bewundern dürfen. Besonders überzeugen uns die kleinen Cornets mit geräucherter Paprikacrème, die nicht nur schön anzuschauen sind, sondern mit nur angedeuteter Knusprigkeit aufs Köstlichste im Mund zergehen.

„Das vegetarische Menü darf dem konventionellen in nichts nachstehen“ sagt Jonas Zörner und beweist mit jedem Gang, den wir an diesem Abend genießen dürfen, dass es ihm ernst ist mit diesem Statement. Der Rettich mit Zuckerschote, Minze und Shiso kommt optisch und geschmacklich als echte Frühlingswiese, die Grüne Tomate mit Salsa Verde und frischgehobeltem Wasabi als eisiges Granité, das durch  Frische und überraschende Süße überzeugt - ein echter Mouthwasher, der auch im konventionellen Menü den Zwischengang bildet. Der The First Harvest-Cocktail nimmt die Aromen der Granita mit Patron Tequila & Ingwer, Noilly Prat und Belsazar Rosé und Erdbeeren perfekt auf - da haben sich Bar- und Küchenchef richtig Gedanken gemacht. Ein wunderbares Pairing ist auch der Red-ist Vein mit Discarded Vodka, Walnussöl fatwashed, Sears Citrus Radieschen und Kresse, Grapefruit und Vanille zur Bachforelle von den 25 Teichen.

Die Artischocke - gegart und gegrillt - mit Bergkäse und Thymian erhält eine feine Säurenote durch Zitronenmelisse, ohne dass ihr subtil bitterer Eigengeschmack wie leider so oft übertüncht würde. Die Schalotte mit Quinoa und Bärlauch hingegen entpuppt sich als fast rustikaler Gang. Mein Gegenüber - sonst meist wie ich Team vegetarisch - fühlt sich von der Umami-Keule erschlagen und zeigt sich froh über sein Juvenil-Ferkel mit Schalotten und Lavendel. Das Kalbsbries mit Spargel und brauner Butter fasziniert mit perfekter Konsistenz und Würze, die ganz ohne Salz und nur aus den Grundzutaten heraus generiert wurde.

Es steht für eine neue Entwicklung bei Jonas Zörner, der mit zunehmender Erfahrung nicht mehr jedem gefallen will und muss. “Wir nehmen jetzt auch mal weniger Komponenten und trauen uns, mit einer intensiven Geschmacksrichtung wie dem Kalbsbries anzuecken“ erzählt Jonas Zörner.  Neue Wege also - auch wenn der Service angesichts komplexester Zubereitungsarten und Zutatenlisten immer noch die Auswendig-lernen-Techniken professioneller Schauspieler beherrschen muss.

Auch die Cocktails stehen der Komplexität der Küche um nichts nach: Da wird mit Butter gewaschen, auf Raumtemperatur infusioniert und dann wieder eingefroren, damit der Alkohol sich den Geschmack aus aromatisiertem Öl zieht. Ein bisschen wie Hexenküche und Alchimie klingt das, und weil ein Cocktail besser als der nächste schmeckt und vor allem immer nur wenig Alkohol für den Geschmack braucht, sind wir hellauf begeistert vom Pairing. Beseelt lassen wir uns, während die Sonne das Golvet in rotgoldenen Licht taucht, ganz in diese eigene Welt fallen. Ebensowenig jenseits des Mainstreams präsentiert sich die Weinkarte mit Positionen wie dem Pure Burgundy, einer Orange Burgundercuvée von Manuel Nössing aus Wien oder dem Spätburgunder Alte Reben von Rücker aus Franken. "Der passt zum Spargel mit Morcheln besser als jeder Weißwein", erklärt Restaurantleiter Martin Wolf. Recht hat er.

Kein gelungener Abend ohne Sweets: Als Prä-Dessert gibt es Valrhona Itakuja mit Malve und Fenchel. Diese Mousse hat Aromen von schwarzem Tee, der doppelt fermentiert und beim zweiten Mal mit Passionsfrucht versetzt wurde, die eine schöne Säure-Ergänzung zur Lakritzigkeit des Fenchels liefert. Das Rhabarber-Dessert setzt mit Amalfi-Zitrone ebenfalls auf Säure, sieht auf den kostbaren Hering Porzellan-Tellern wunderschön aus und rundet das Menü perfekt ab. Wären da nicht noch die Canelés (comme il faut außen knusprig und innen weich) und ästhetisch in einer schwarzen Box präsentierte Petit Fours. Wenn Jonas Zörner nach den Sternen greift, hat er allen Grund dazu - wir sind gespannt, wie es ganz oben im Golvet weitergeht.

Golvet Restaurant, Potsdamer Straße 58, 10785 Berlin

Futterneid & Tafelsilber - DIE Genuss-Kolumne von Gesa Noormann

Bei Nils Henkel auf Sylt

Im Lovis

Im Restaurant Dóttir - Château Royal

Im Restaurant Jord

Im Berta

Im Macionga

Im POTS

Im The Grand

In der Winebar Zerostress

Im Victor & Victoria

Frederick's Berlin